Ist die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgegangen? Studie zeigt klares Ergebnis

Die Diskussion um die Einkommensverteilung ist zuletzt erneut aufgeflammt. Zu Recht? Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt in einer Studie zu einem klaren Ergebnis. Ein Gastbeitrag von IW-Direktor Prof. Michael Hüther.
Geht es um Arm und Reich, wird wohl kaum ein Bild häufiger bemüht als das der Einkommensschere. Sie öffne sich immer weiter, heißt es dann oft – ganz besonders oft in Wahlkampfzeiten. Gemeint ist: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Wer sich die Verteilung von Einkommen und Vermögen genauer anschaut, stellt allerdings schnell fest: Die Ungleichheit hat in den vergangenen Jahren nicht zugenommen. Gerade beim Einkommen ist die relative Verteilung schon seit 2005 bemerkenswert stabil.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen ab sofort Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark. Immer samstags.
Das liegt vor allem an zwei gegenläufigen Entwicklungen: Zum einen hat Deutschland in den vergangenen 15 Jahren eine langanhaltende Erfolgsgeschichte auf dem Arbeitsmarkt vorzuweisen, die vor allem zwischen 2005 und 2016 die Ungleichheit deutlich verringert hat. Dem entgegen wirkte aber unter anderem die Zuwanderung ab 2010. Im Ergebnis blieb der Gini-Koeffizient, mit dem man Ungleichheit misst, in diesem Zeitraum nahezu konstant.
Arbeitseinkommen wichtigste Einkommensquelle
Für die meisten deutschen Haushalte ist das regelmäßige Arbeitseinkommen die wichtigste Einkommensquelle. Hier gab es in den vergangenen Jahrzehnten ein deutliches Plus: Zwischen 1991 und 2018 stiegen die nominalen Arbeitseinkommen im Durchschnitt um 76 Prozent. Selbst unter Berücksichtigung der Preissteigerungen verbleibt ein reales Plus von zwölf Prozent.
Gerade zuletzt haben davon die Menschen in Deutschland profitiert, die einen geringen Lohn erhalten, weil sie beispielsweise in der Gastronomie oder in Teilzeit arbeiten. Die bedarfsgewichteten realen Haushaltsnettoeinkommen der unteren zehn Prozent sind seit 2015 um rund sieben Prozent gestiegen (1. Dezil), in der Mitte (5. Dezil) ebenfalls um rund sieben Prozent und bei den oberen zehn Prozent um rund fünf Prozent.
Fraglich bleibt, welche Rolle Corona in dieser Entwicklung spielt. Zwar fehlen für eine fundierte Betrachtung noch Daten. So dürften die Ungleichheiten der Erwerbseinkommen und Markteinkommen sich tendenziell erhöht haben, allerdings ist dieser Anstieg durch die sozialstaatlichen Maßnahmen effektiv abgefedert worden.
Nächste Bundesregierung: Keine ideologisch motivierten Schnellschüsse
Wer nun fordert, deutlich stärker umzuverteilen und sich darauf beruft, dass die breite Masse beim Wohlstandszuwachs außen vor geblieben sei, irrt und verkennt die integrative Leistung der Sozialen Marktwirtschaft und ihrer Institutionen. Wesentliche Aufgabe für die nächste Bundesregierung dürfte sein, sich nicht zu ideologisch motivierten Schnellschüssen hinreißen zu lassen und vielmehr die Voraussetzungen für ein neues Kapitel der deutschen Wirtschafts-Erfolgsgeschichte zu schaffen.