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VW abgeluchst und bei Probefahrt geschrottet

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Zu einer Geldstrafe ist ein 29-jähriger Schönecker verurteilt worden, weil er ohne Führerschein fuhr und dabei einen Unfall verursachte. Archivfoto: Becker
Zu einer Geldstrafe ist ein 29-jähriger Schönecker verurteilt worden, weil er ohne Führerschein fuhr und dabei einen Unfall verursachte. Archivfoto: Becker

Schöneck. Es sollte doch nur eine Probefahrt werden. Chris lieh sich den VW Golf von Herrn M. und kam damit auf der Kreisstraße 246 von der Fahrbahn ab. Totalschaden. Chris hatte aber gar keinen Führerschein, dafür 1,35 Promille im Blut. Jetzt kam der Fall vors Amtsgericht.

Von Dieter A. Graber

So einer wie der Chris hat es nicht leicht im Leben. Das fing schon in der Schule an. Lese- und Schreibschwäche hieß es, und mit dem Rechnen war’s auch nicht weit her. Er besuchte dann eine Behindertenwerkstatt, obwohl: So richtig behindert ist er ja nicht, der Chris, und schon gar nicht dumm. Sensorische Integrationsstörung lautet der Fachbegriff. Da werden, einfach gesagt, Eindrücke im Gehirn nicht einwandfrei verarbeitet.

Chris lebt so in den Tag hinein. Trinkt gern Bier. Und davon viel. Vor allem freitags, da sieht man ihn mit Kumpels in Kilianstädten rumhängen. Der eine oder andere Kasten Gerstensaft muss dann dran glauben. Er hat ja auch keinen Job, der Chris. „Ich war mal im Gartenbau beschäftigt“, sagt er und macht eine wegwerfende Handbewegung. „Aber ich kam mit den Leuten nicht klar.“

Einem völlig Fremden das Auto gegebenEinen liebenswürdigen Lebenskünstler könnte man ihn nennen, der keinem was zuleide tut, bestenfalls dem lieben Gott die Tage stiehlt, und doch hat er sich im vergangenen August ein tolles Ding geleistet.Patrick M. (30) arbeitet als Kellner in einem Lokal in Kilianstädten. Auf dem Parkplatz vor der Tür stand sein VW Golf. Chris kam vorbei und sprach ihn an: „Schöne Kiste. Ich würde sie gern für meine Freundin kaufen.“

Herr M. war nicht abgeneigt. Vielleicht witterte er ein gutes Geschäft. Jedenfalls überließ er dem Chris vertrauensselig die Autoschlüssel für eine Probefahrt. Er selbst konnte seine Gäste ja nicht im Stich lassen.An dieser Stelle nimmt der Fall leicht bizarre Züge an. Patrick, der Kellner, sagt: „Ich kannte ihn aber gar nicht. Erst später erfuhr ich, um wen es sich da handelte.“ Irritiert fragt Amtsrichterin Jeschke: „Einem völlig Fremden geben sie Ihr Auto?“ Der Zeuge nickt betreten. „Haben Sie sich wenigstens einen Ausweis zeigen lassen?“ Die Antwort: „Nö!“

Urteil: 80 Tagessätze von je zehn EuroChris besitzt keinen Führerschein. Hat nie einen gehabt. Das Autofahren habe er sich selbst beigebracht, sagt er. Ein Autodidakt also im wahrsten Sinne des Wortes. Er heizte dann mit dem Golf durch die südliche Wetterau. Auf der Kreisstraße 246 kam er von der Fahrbahn ab und prallte gegen eine Leitplanke. Den Unfall schildert er auf seine treuherzige Weise so: „Mein Handy fiel runter und rutschte unter die Bremse. Da ist es passiert. Was für ein Pech.“Der Chris hat ein sympathisches Gesicht, auf dem ein Lächeln festgewachsen zu sein scheint. Er ist jetzt 29 Jahre alt. 1,35 Promille waren später bei ihm festgestellt worden. Er hatte es aber noch geschafft, mit dem schwer beschädigten Wagen zum Lokal zurück zu schuckeln und dem entsetzten Herrn M. vorgeschwindelt, eine Autofahrerin sei ihm unterwegs reingerauscht.Dann schwang er sich auf sein Fahrrad und gab Fersengeld. Bei seiner Freundin, die, wie er sagt, inzwischen seine Ex-Freundin sei, leerte er noch eine Dose Whiskey-Cola, ehe er sich der Polizei stellte, die schon nach ihm suchte. Es ist die Geschichte eines Außenseiters, der, wie sein Verteidiger Lars Kirch aus Hanau anmerkt, „eher an einen pubertierenden Jugendlichen als an einen reifen Menschen“ erinnere. Die Leitplanke hat er bezahlt. 200 Euro. Viel Geld für einen, der von 564,24 Euro Grundsicherung lebt. Das sind 689 Flaschen Karlskrone Premium Pilsener beim Discounter an der Uferstraße, wo er seinen Nachschub zu holen pflegt.Richterin Jeschke verurteilt Chris zu 80 Tagessätzen von je zehn Euro. Das wären in Bier umgerechnet … – ach, lassen wir das.

Nur noch so viel: Auch gegen Herrn M. war zunächst ermittelt worden, wegen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Die Sache wurde aber eingestellt. Der Golf ist längst verschrottet. War nichts mehr zu machen. Ärgerlich, aber Schwamm drüber. Herr M. sagt resignierend: „Ich kriege ja doch keinen Cent Schadenersatz dafür …“

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