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Wissenswertes über Kaffeeschnüffler und Holzschuhmacher

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Mit solch einem Joch auf den Schultern des Vorsitzenden Herbert Deckenbach – die Eimer fehlen – boten Abtrittanbieter ihre Dienste an, berichtete Referentin Joselyn Grimm bei ihrem Vortrag beim Geschichtsverein Heldenbergen über kuriose und ausgestorbene Berufe.
Mit solch einem Joch auf den Schultern des Vorsitzenden Herbert Deckenbach – die Eimer fehlen – boten Abtrittanbieter ihre Dienste an, berichtete Referentin Joselyn Grimm bei ihrem Vortrag beim Geschichtsverein Heldenbergen über kuriose und ausgestorbene Berufe. © Thomas Seifert

Was hat ein Kanarienvogel mit dem Bergbau zu tun, und weshalb leisteten sich begüterte Familien bei Festivitäten die Dienste eines Quatorzième? Diese und weitere Kuriositäten rund um ausgestorbene Berufe bekamen die Besucher eines reich bebilderten und von Ausstellungsstücken begleiteten Vortrags des Geschichtsvereins Heldenbergen erzählt.

Nidderau – Referentin war Joselyn „Josy“ Grimm, stellvertretende Vorsitzendes des Geschichtsvereins Hasselroth, die nicht zum ersten Mal in Heldenbergen einen Vortrag hielt, wie der Vorsitzende des gastgebenden Vereins, Herbert Deckenbach, erfreut feststellte. Und die Studentin an der Kasseler Uni erfüllte die Erwartungen der Besucher, denn sie goss ein Füllhorn von Informationen über ausgestorbene, vergessene und sehr kuriose Berufe aus.

Robuste Treter für die Feldarbeit

Aufgebaut war das Referat in drei Teile, beginnend mit ausgestorbenen Berufen, die auch in der Region ausgeübt wurden, solche, in denen Menschen überregional tätig waren und kuriose Beschäftigungen. Eisfahrer gab es laut Grimm vor der Erfindung des Kühlschranks in allen Gegenden. In Hanau existierten in der Amaliastraße die Eiswerke Günther + Motsch, deren Mitarbeiter durch lange Kleidung gerade im Sommer auffielen. Das Eis, das im Winter auf Teichen oder dem Main – Schwerpunkt der Produktion war Frankfurt – „geerntet“ wurde, kam in der heißen Jahreszeit in verschiedenen Qualitätsstufen zur Auslieferung.

Holzschuhmacher war ein verbreiteter Beruf vor allem im Bergwinkel, denn die robusten Treter wurden von frühester Kindheit an getragen und waren bei den damaligen Straßenverhältnissen und zur Feldarbeit unerlässlich. In der Endzeit der Produktion wurden die Holzschuhe sogar schon mit Ledergamaschen kombiniert, „ein Vorläufer der Gummistiefel“, berichtete die Referentin.

Knopfmacher gab es bis in die 1950er Jahre

Ging ein Bergmann zur Arbeit, hatte er seinen Kanarienvogel dabei, denn diese Tierchen reagierten sehr sensibel auf sich veränderte Luftverhältnisse im Stollen. Fiel der Gefiederte von der Stange, hieß es, so schnell wie möglich raus aus dem Bergwerk. Aber auch als Singvogel waren die Kanarienvögel, für die es spezielle Züchter gab, sehr beliebt. Ihnen wurden durch Spieldosen, durch vorsingen oder musizieren Melodien beigebracht, und ein Großhändler in Fulda verschiffte die singenden Kanarienvögel bis nach Amerika.

Knopfmacher gab es noch bis in die 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, ehe technische Weiterentwicklungen auch diesem Beruf den Garaus machten. Ehedem reine Handarbeit, bekamen die Knopfmacher durch die Nähe zum Produkt im Laufe der Zeit im Volksmund so genannte „Knopfaugen“ nachgesagt.

Mit Leiter und diversen Werkzeugen bewaffnet machte sich der Harzer auf in den Wald, um den wertvollen Rohstoff für Lacke, Farben, Klebstoffe und Kolophonium aus Nadelbäumen zu holen. Diese Berufsgruppe roch immer intensiv, was vom geernteten Harz herrührte, stellte Grimm fest.

Schriftsetzer fallen technischem Fortschritt zum Opfer

In Offenbach wurde die Technik des Steindrucks erfunden, aber auch der Lithograph wurde durch effektivere Druckmethoden vom Markt gedrängt, so Grimm. Bis 1956 sei es noch ein Lehrberuf gewesen, die Fähigkeit aus ganz besonderem Kalkstein hochwertige Druckerzeugnisse in schier unlimitierter Zahl herzustellen. Gegenüber dem Druck mit Metallplatten ein großer Vorteil. Als Anschauungsstück projizierte die Referentin das Foto einer Postkarte auf eine Leinwand – allerdings von Windecken, was mit leichten Unmutsbekundungen von den Besuchern quittiert wurde.

Auch der Beruf des Schriftsetzers ist dem technischen Fortschritt zum Opfer gefallen. Wo zu Gutenbergs Zeiten noch ganze Bücher Buchstabe für Buchstabe „gesetzt“ wurden, haben Computer dieses Handwerk endgültig aussterben lassen und den neuen Beruf des Mediengestalters erschaffen. Eine alte Druckplatte im Gepäck von „Josy“ Grimm mit dem Fahrplan Nidderau-Frankfurt demonstrierte die mühselige Arbeit der Schriftsetzer.

Beruf: Sandmann - Holzfußböden zum Glänzen gebracht

Zuguterletzt war auch der Beruf des Sandmanns in der Region verbreitet. Dessen harte und schmutzige Arbeit bestand darin, mit Reinigungssand Holzfußböden wieder auf Hochglanz zu bringen. Die Entwicklung chemischer Reinigungsprodukte machte auch diesen Beruf überflüssig.

Im Verlauf des Vortrags wurden die Besucher mit weiteren kuriosen Berufen bekannt gemacht. Der Abtrittanbieter bot tragbare Toiletten an, der Vorsitzende hatte den Rand von Abtritten mit seinem Körper anzuwärmen. Der Kaffeeriecher sollte im Kaiserreich von 1781 bis 1789 illegal gerösteten Kaffee erschnüffeln, der Ameisler plünderte Kolonien der Insekten im Wald, um deren Puppen als Vogelfutter zu verkaufen, der Fischbeinreißer produzierte aus Walknochen die notwendigen „Zutaten“ für Korsetts, Kleider und Schirme und der Aufwecker zog morgens mit einem langen Stock oder einem Blasrohr von Kunde zu Kunde, um diesem den Schlaf aus den Augen zu vertreiben.

Zahl 13 war gefürchtet

Schon kurios genug, konnte die Referentin aber noch weitere sehr spezielle und ausgestorbene Berufe präsentieren. Der Planetenverkäufer, ausgerüstet mit Bauchladen und einem tierischen Begleiter – zum Beispiel einem dressierten Papagei – verkaufte zwar keine Himmelskörper, aber Horoskope, Sinnsprüche oder Lose, die der Vogel mit seinem Schnabel aus dem Bauchladen zog.

Bis 1939 war die „Greenwich Time Lady“ zu Kunden unterwegs, denen sie deren Uhren nach der des hochoffiziellen Zeitmessers einstellte. Und der Quatorzième hatte eigentlich nichts anderes zu tun, als gepflegt auszusehen. Er wurde von zahlungskräftigen Kunden geordert, um zu vermeiden, dass die Gästezahl sich außerplanmäßig auf 13 erhöhte – dann wurde er zum 14. Gast am Tisch. Denn die Zahl 13 wurde zu bestimmten Zeiten von abergläubischen Menschen gefürchtet wie der Teufel.

(Von Thomas Seifert)

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