Nidderau: Bertha-von-Suttner-Schüler und Lehrer gestalten beeindruckendes Pogromgedenken

Kerzenlicht wies Besuchern den Weg in die Mensa der Bertha-von-Suttner-Schule. Dort wurden die Teilnehmer der musikalischen Lesung und Ausstellung im Rahmen der Pogrom-Gedenken von Schülern, Lehrern, Direktor Harald Klose und Schulpfarrer Martin Beinhauer begrüßt.
Nidderau – „Der Beginn der Nazidiktatur ist nun 89 Jahre her. Im Rückblick können wir viel über das organisierte Grauen dieser Schreckensherrschaft erfahren. Wir können sehen wie sich Menschen haben verführen lassen, aktiv mitgemacht, sich einfach weggeduckt, aber auch sich widersetzt haben“, sagte der Schulleiter.
Zwar könne man die Vergangenheit nicht verändern, aber mit dem Wissen der Vergangenheit Kindern Vorbild sein und Beispiele geben. Vorbilder seien die Widerstandsgruppe Weiße Rose, der lutherische Theologe Dietrich Bonhoeffer oder Menschen wie das Ehepaar Hampel gewesen. Elise und Otto Hampel schrieben zwei Jahre lang Postkarten, mit denen sie zum Widerstand gegen das NS-Regime aufriefen. 1943 wurden sie denunziert und wegen rund 200 Postkarten zum Tode verurteilt und hingerichtet, informierte Harald Klose.
Juden beklagen mangelnde Zivilcourage
Schulpfarrer Martin Beinhauer sagte, dass Antisemitismus auch heute noch stattfinde. „Die meisten Juden beklagen nicht, dass es Übergriffe gibt, sondern sie beklagen die mangelnde Zivilcourage. Man schaut weg, mischt sich nicht ein, schließlich will man ja keinen Ärger.“ Damals wie heute sahen und sehen die Leute weg und ermöglichen so Verbrechen. „Dabei ist es gerade für die normalen Menschen wichtig, sich an allen möglichen Orten einzusetzen. Nur wir sehen die vielen kleinen Diskriminierungen, die in der Masse viel mehr ausmachen, als irgendein Star in einem Tweet von sich geben kann“, betont der Schulpfarrer.
Heute sei es viel einfacher, Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus zu setzen. „Wir können und dürfen klar und deutlich sagen, dass wir keine Hetze, keine Gewalt, keine Diskriminierung gegen andere Menschen wollen. Wir müssen es einfach nur tun“, appellierte der Schulleiter an das Publikum.
Danach lasen, sangen und spielten Schüler, Lehrer und der Pfarrer. Bereits am Dienstag hatten Schüler in Heldenbergen einen Gang zu den dort verlegten Stolpersteinen unternommen. Zur Vorbereitung der Lesung hatten Schüler der Jahrgangsstufen acht, neun und zehn intensiv über das Leben und Schicksal von Juden in Nidderau, Schöneck und Bad Vilbel recherchiert, es auf den Ausstellungstafeln in Wort und Schrift dokumentiert. Und sie informierten über jüdische Begriffe und Feste. Beispielsweise Rosch ha-Schana (jüdischer Neujahrstag) oder Simchat Tora (Fest der Freude).
Grundlage ist Buch von Monica Kingreen
Zur Grundlage ihrer Recherchen verwendeten die Schüler neben Internet, Museums- und privaten Nachforschungen vor allem das Buch „Jüdisches Landleben in Windecken, Ostheim und Heldenbergen“ von Monica Kingreen. „Ihre Ergebnisse haben sie in eigenen Worten zusammengefasst und stellen sie heute Abend vor“, informierte Religions- und Musiklehrerin Elisabeth Kretzschamr-Wegner.
Die Schüler Henriette Ihling, Fiona Volz, Eleni Kämpf, Nina Winkelhoch, Phil Laubach, Laurenz Krüger, Harmanjot Singh und Jan Härterich erinnerten in bewegenden Worten an das Schicksal von Juden in Nidderau. Sie alle waren geachtete und anerkannte Mitbürger, die bereits seit Generationen friedlich mit ihren Nachbarn zusammenlebten und arbeiteten. Viele von ihnen waren Geschäftsleute und geachtete Mitglieder ihrer Gemeinde. Dazu gehörten in Heldenbergen die Familie Martin Speier, Michael Speier, die Familie Adolf Wertheimer, die Familie Leopold Hermann, die Familien Abraham und Liebmann Rotschild.
„Ihr habt alle mitgemacht“
Die Schüler berichteten auch über das Schicksal der Familie Siegfried Wolf in Ostheim, von der es einem Teil gelang, in die USA zu emigrieren. Die Familie von Jacob Levi aus Windecken wanderte nach Johannesburg aus. „Wir sind in Deutschland einem schlimmen Schicksal entkommen, mussten dafür aber alles zurücklassen und unsere Heimat verlassen“, notierte Tochter Hilde Levi. 1973 und 1988 besuchte sie Windecken. Leuten, die ihr beteuerten, dass sie keine Nazis gewesen seien, entgegnete sie: „Ihr habt alle mitgemacht!“

Lehrer Michael Dauth las das Gedicht von Martin Niemöller „Als sie die Juden holten“ vor und die Lehrerinnen Elisabeth Kretzschamr-Wegner, Lisa Stöbenau, Susanne Riedl-Komppa und Lehrer Peter Ripkens sangen Lieder wie „Oj dortn“, „Donnaj, Donnaj“ und „Herr lass mich dir singen“. Im Anschluss an die musikalische Lesung nutzten die Besucher die Gelegenheit, sich mit den Schülern auszutauschen und die Ausstellung anzusehen.
Am Mittwoch hatte die Stadt Nidderau einen Schweige-Rundgang zu den Stolpersteinen in Ostheim abgehalten und zuvor in der Kirche unter anderem der Heldenberger Familie Haas gedacht. Mittags waren Kränze an den früheren Standorten der Synagogen in Heldenbergen und Windecken niedergelegt worden. (Von Christine Fauerbach)