Dauerstress im Niedertal: Unmut, Getuschel, Unverständnis

Langenselbold. Bei der Verlosung von Grundstücken im Baugebiet Niedertal III in Langenselbold haben 75 Grundstücke neue Eigentümer gefunden. Doch zufrieden sind nicht alle. Einige fürchten, dass sich der Baubeginn verzögert. Denn ein Gericht prüft derzeit die Klage eines Landwirts, ein früher Baubeginn wäre riskant.
Von Torsten Kleine-Rüschkamp
Bei der nichtöffentlichen Veranstaltung der Stadt Langenselbold in der Klosterberghalle hat Bürgermeister Jörg Muth (CDU) die künftigen beziehungsweise potenziellen Bauherren über mögliche Konfliktpunkte informiert.
Hintergrund ist ein Normenkontrollverfahren, das aufgrund einer Klage eines Langenselbolder Landwirtes angestoßen worden ist. Der Landwirt habe geltend gemacht, dass der Abstand zwischen Baugebiet und Bauernhof zu gering sei. Der Landwirt fühle sich bei etwaigen Expansionsmöglichkeiten eingeengt.Gericht klärt SachverhaltEin Gericht soll im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens klären, ob die von der Stadt verabschiedete Satzung – in diesem Fall der Bebauungsplan – im Einklang mit der Rechtssprechung steht. Im Detail geht es um den Schutzabstand des Reiterhofs zur geplanten Wohnbebauung.Die Stadt hat laut Muth vorher über unabhängige Gutacher prüfen lassen, ob der Bebauungsplan rechtlichen Bestand habe. Dies sei bejaht worden. Im Fall Niedertal III soll die Art der landwirtschaftlichen Nutzung nicht unvereinbar sein mit der Wohnnutzung. Im fraglichen Fall betreibt der Landwirt eine Pferdepension. Eine „normale landwirtschaftliche Nutzung“ sei statthaft, wie zum Beispiel auch die Haltung von Kühen.Muth: "Normalen Landwirtschaft“ kein Ausschluss-KriteriumEin Unvereinbarkeit läge dann vor, wenn der Landwirt eine Hühner- oder Schweinezucht betreibe, wofür ein besonderes Genehmigungsverfahren notwendig sei, so Muth. Die neuen Eigentümer von Baugrundstücken im Niedertal III sollen per Grundbucheintrag einer „Duldung einer normalen Landwirtschaft“ zustimmen.Das Vorhandensein einer „normalen Landwirtschaft“ in der Nachbarschaft ist laut Rathaus-Chef kein Ausschluss-Kriterium für eine Wohnbebauung. Er wies darauf hin, dass er bei der Verlosung von Baugrundstücken während der Veranstaltung in der Klosterberghalle die Kaufwilligen umfassend über die möglichen Risiken aufgeklärt habe, die in Zusammenhang mit dem Normenkontrollverfahren stünden. Zu dieser Informationspflicht sei er auch rechtlich verpflichtet.Angst um BaubeginnEin Teilnehmer der Verlosung äußerte, eine große Teilnehmerzahl sei von der unerwarteten Entwicklung überrascht worden. In der Versammlung sei „Unmut, Getuschel und Unverständnis“ laut geworden. Wie der potenzielle Bauherr gegenüber unserer Zeitung berichtete, befürchte er jetzt, erst später bauen zu können. Ursprünglich habe der Selbolder vorgehabt, schon im kommenden Jahr mit dem Bau zu beginnen. Dies verschiebe sich nun auf Frühjahr oder Sommer 2018.„Eine Bebauung vor Ende des Verfahrens ist daher mit Risiken behaftet“, erklärte der Bürgermeister. Er wies darauf hin, dass das Normenkontrollverfahren eine juristische Auseinandersetzung zwischen dem Landwirt und der Stadt darstelle. Hier gehe es allein um die Frage, ob die Satzung aus Sicht des Gerichts rechtens sei.Stadt zahlt bei Niederlage Kaufpreis zurückNach Abschluss des Verfahrens stehe dem Landwirt nach einem etwaigen Sieg offen, gegen jede einzelne Baugenehmigung zu klagen. Zur Minimierung der Risiken erklärte der Rathaus-Chef: „Das Verfahren könnte dazu führen, dass im Falle der Erteilung einzelner Baugenehmigungen, diese von dem Betreiber des Normenkontrollverfahrens angegriffen werden. Soweit Verträge mit der Stadt abgeschlossen werden, wird aber zugesichert, dass geleistete Zahlungen erstattet werden, soweit Verträge rückabgewickelt werden müssen, sollte das Normenkontrollverfahren für den Betreiber erfolgreich enden, wovon wir jedoch nicht ausgehen.“
Interessenten könnten bei Vorhandensein einer Baugenehmigung auch vorzeitig mit der Errichtung von Häusern anfangen, was allerdings auf eigenes Risiko geschehe. Der klagende Landwirt stand auf Nachfrage unserer Zeitung nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung.90 Prozent der Grundstücke verteiltNach Muths Darstellung sind bei dem über dreistündigen Losverfahren über 90 Prozent der Grundstücke an die Bewerber verteilt worden. Dies wertete Muth als Erfolg, „obwohl die Bewerber wussten, dass sie möglicherweise innerhalb der nächsten zwei oder drei Jahre doch nicht bauen können.“Wie Muth weiter erläuterte, gibt es im Niedertal III insgesamt 103 Grundstücke. „Zehn Grundstücke sind für Alteigentümer reserviert“, so der Verwaltungschef. Diese Grundstücksvergabe sei über eine entsprechende stadteigene Richtlinie aus den 90er Jahren geregelt.93 Bauplätze vorhandenBrächte ein Alteigentümer ein Grundstück von beispielsweise 5000 Quadratmetern ein, könne er sich beispielsweise ein Grundstück von rund 500 Quadratmetern rausparzellieren und sich den Rest in Geld ausbezahlen lassen.Nach Abzug jener zehn reservierten Baugrundstücke für Alteigentümer existieren laut Muth noch 93 Bauplätze. Davon müssten wiederum zwei Grundstücke abgezogen werden, die die Stadt selbst nutzen werde, nämlich zum einen für den Bau einer Kindertagesstätte und zum anderen für die Errichtung eines Platzes.Sieben Grundstücke nicht vermitteltWeiterhin seien neun Grundstücke abzuziehen, die für Bauträger vorgesehen seien. Summa summarum seien unter dem Strich 82 Baugrundstücke übriggeblieben, die jetzt zur Verlosung angeboten worden seien. Davon seien 75 Grundstücke verlost worden. Sieben Grundstücke seien nicht vermittelt worden. 75 Kaufinteressenten haben im Beisein von zwei Notaren unter die entsprechenden Papiere ihre Unterschrift gesetzt.„Den meisten war offenkundig daran gelegen, in jedem Fall schon einmal die Hand auf einem Grundstück zu haben. Die Stadt wertet dies als einen guten Erfolg in der Vermarktung der Grundstücke trotz der anstehenden rechtlichen Problematik“, so der Bürgermeister.