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Guy Maliverney bringt Kulturen zusammen

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Von: Christine Semmler

Guy Maliverney ist vielseitig interessiert: In jungen Jahren spielte er Geige und tanzte Ballett, später organisierte er seine legendären Gruppenreisen. Zur Zeit verbringt er viel Zeit damit, zu schreiben.
Guy Maliverney ist vielseitig interessiert: In jungen Jahren spielte er Geige und tanzte Ballett, später organisierte er seine legendären Gruppenreisen. Zur Zeit verbringt er viel Zeit damit, zu schreiben. © Chritsine Semmler

„Ich bin mit meinem Leben zufrieden“, sagt Guy Maliverney. Es ist bereits ein langes Leben: Was in den vergangenen 84 Jahren alles geschehen ist, hat er in drei roten Bänden festgehalten. „Le Regard sur ma vie“ so der Titel. Seine Memoiren sind in Französisch, seiner Muttersprache, verfasst.

Der Wahl-Großkrotzenburger ist in der Gemeinde bekannt wie ein bunter Hund. Mit seiner Frau Marie-Luise und seinen beiden Töchtern Gabriele und Anita ist er vor ziemlich genau 50 Jahren hier her gezogen und hat seither die Sympathien der Großkrotzenburger geweckt. Mancher Nachbar erinnern sich gerne an seine Rundgänge durch die Straße. „Wenn ich von Geschäftsreisen Wein mitgebracht habe, habe ich mir ein Tablett mit Gläsern genommen und habe ihn offeriert“, sagt er. Und zu Neujahr schenkte er in der Nachbarschaft gerne ein Gläschen Cognac aus.

„Wichtig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“

„Es war mir immer wichtig, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“, sagt er. Deshalb ist er schon früh in den Heimatverein, den Kirchenchor und in das Partnerschaftskomitee eingetreten, dessen Ehrenvorsitzender er heute ist.

Die Kulturreisen nach Frankreich, die er Jahrelang ehrenamtlich organisierte (die letzte 2010) , sind heute legendär. „Ich habe meinen Gästen gezeigt, was sie sonst nicht gezeigt bekommen“, sagt er. Ziele waren mal das Loiretal, mal die Provence, mal Bordeaux. „Meistens habe ich Weinbaugebiete gewählt, denn es war immer auch eine Weinprobe dabei“, erzählt er und schmunzelt: „Denn egal was schief geht, Wein bringt die Menschen zusammen.“ Sein leiser, verschmitzter Humor ist den Reisenden in guter Erinnerung geblieben. Er wurde zu seinem Markenzeichen.

Denkwürdig sind auch seine Veranstaltungen im Bürgerhaus, bei denen er Neuentdeckungen an französischem Käse und Wein an die Großkrotzenburger brachte. Bis zu 550 Besucher kamen. „Manchmal hatten wir keine Stühle mehr“, erinnert er sich. So förderte er Völkerverständigung auf schönste Weise.

Kriegswirren trennten die Familie

Heute trete er allerdings etwas kürzer, sagt er. „Ich genieße die Ruhe.“ Und die hat er in seinem Haus mit dem kleinen Garten, hier konnte er in Ruhe seine Lebenserinnerungen festgehalten. „Es ist kompliziert“, sagt er lachend. Denn Maliverneys ereignisreiches Leben verlief fast nie nach Plan. Aber, so sagt er heute, es verlief genau richtig.

Maliverney wurde 1938 in Froncles, einem Dorf im Departement Haute-Marne im Nordosten Frankreichs geboren. Die Kriegswirren verschlugen seine Familie nach Deutschland und wieder zurück. Zunächst geriet der Vater in deutsche Gefangenschaft, später wurde die Mutter interniert, weil sie eine Liebesbeziehung und ein uneheliches Kind mit einem Deutschen hatte: Das Kind war seine 1942 geborene Halbschwester. Nach dem Krieg lebte er bei seinem Vater und der Stiefmutter. „Es war kein schönes Leben“, sagt er. Die Mutter sollte er erst viele Jahre später, im Jahr 1958 wieder sehen.

Schlimmer Arbeitsunfall mit 16 Jahren

„Mein Vater wollte nicht, dass ich eine höhere Schule besuche“, erinnert er sich. Er begann eine Lehre als Schreiner – bis er mit 16 Jahren bei einem Arbeitsunfall drei Finger der rechten Hand verlor. Sein Kommentar dazu verblüfft: „Es war mein Glück“, sagt er. Denn weil sich Freunde beim Vater für ihn einsetzten, durfte der junge Guy nun doch eine höhere Schule besuchen. Er machte einen guten Abschluss als Maschinenbautechniker an der Technischen Schule in Mulhouse. Sein Gesicht hellt sich auf: „Dann ging mein Leben los.“ 1958 kam es zum Wiedersehen mit der Mutter: Er zog zu ihr ins Departement Cote d’Or, wo er aber keine Arbeit fand. Hier sollte er auch nicht glücklich werden.

Am 16. Juni 1959 veränderte sich sein Leben dann für immer: In einer Hals-über-Kopf-Aktion entschloss er sich, zu seiner Tante nach Deutschland zu reisen. „Ich habe meinen Koffer gepackt, mein Fahrrad genommen und bin losgefahren. Ohne Essen, ohne Karte, wie ein Wilder“, sagt er. So legte er sage und schreibe 770 Kilometer zurück, bis ins hessische Offenbach. „Ich hatte einen Schutzengel“, sagt er heute, und lacht. „Ich bin zeitweise mit dem Fahrrad auf der Autobahn gefahren, und mir ist nichts passiert.“

In Karikaturen nahm der Maschinenbau-Ingenieur Arbeitskollegen und Büroalltag auf die Schippe. Inzwischen hat er sie in eine Buchreihe gebannt.
In Karikaturen nahm der Maschinenbau-Ingenieur Arbeitskollegen und Büroalltag auf die Schippe. Inzwischen hat er sie in eine Buchreihe gebannt. © -

Da war er 21 Jahre alt und hatte im Leben noch kein Wort Deutsch gesprochen. „Das war aber kein Problem, ich bin kontaktfreudig“, sagt er lachend, „Und ich hatte keine Angst vor der Sprache.“ Der deutsch-französische Kulturschock ist ihm aber noch gut in Erinnerung. Sich an die deutsche Pünktlichkeit zu gewöhnen, sei für ihn am schwierigsten gewesen, sagt er. „Vor allem die Essenszeiten waren eine Katastrophe“, sagt er lachend. „Punkt 12.30 Uhr steht bei den Deutschen das Essen auf dem Tisch. Und um 16 Uhr wird auf der Arbeit der Hammer fallen gelassen. Die Franzosen kennen das anders. Da wird es auch mal später mit dem Essen. Und sie arbeiten auch mal länger, wenn sie noch nicht fertig sind.“

Karikaturen über den Arbeitsalltag

Doch Deutschland gefiel ihm: Hier sollte er den Rest seines Leben bleiben, hier fand er Arbeit und tat was ihm Spaß machte. Er meldete sich in einer Ballettschule an, spielte Geige, sang im Kirchenchor und machte eine kurze handwerkliche Ausbildung zum Entwicklungshelfer.

Bei einer Karnevalsveranstaltung in Frankfurt lernte er schließlich seine Frau kennen, über 30 Jahre arbeitete er in einem Frankfurter Unternehmen für den Bau von Petrochemischen Anlagen in verantwortlicher Position. Dort war Maliverney für seine scharfen Beobachtungsgabe und sein Zeichentalent bekannt, Die stellte er in seinen Karikaturen über die Kollegen und den Büroalltag unter Beweis.

Nach Großkrotzenburg verschlug es ihn eher zufällig. „Ich habe Wohnungsanzeigen studiert und habe eine gefunden, bei der keine Telefonnummer stand“, erinnert er sich: Es war ein Häuschen in der Großkrotzenburger Spessartstraße. „Ich habe mir gedacht, dann ist das bestimmt noch zu haben. Ich bin schnell hingefahren und habe es gemietet.“ Heute wohnt er in einem eigenen Haus. In Großkrotzenburg ist er geblieben. Von Christine Semmler

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