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Ampel-Kracher im Sondierungspapier: Zwei zentrale Punkte tragen Lindners Handschrift - Doppel-Dämpfer für Grün

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Von: Florian Naumann

Wer bekommt was? Robert Habeck, Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Christian Lindner stellen das Ampel-Sondierungspapier vor.
Wer bekommt was? Robert Habeck, Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Christian Lindner stellen das Ampel-Sondierungspapier vor. © Chris Emil Janssen/www.imago-images.de

Das Ampel-Sondierungspapier steht. Samt einiger plakativer Kernpunkte. Wer von SPD, Grünen und FDP wo zurückstecken musste - und wer sich freuen kann.

Berlin - SPD, Grüne und FDP sind einen großen Schritt in Richtung Ampel-Koalition gegangen: Die Sondierer der drei Parteien haben nicht nur die Aufnahme von Koalitionsgesprächen empfohlen - sondern auch in einem zwölfseitigen Papier (im Wortlaut nachzulesen bei Merkur.de*) erste, sehr konkrete Grundlagen notiert.

Die vielleicht größte Überraschung dabei: Zwar sind beileibe nicht alle Fragen geklärt, doch an so einigen Stellen sind teils schmerzhafte Kompromisse bereits erkennbar - für alle Seiten. Man habe „nicht nur Formelkompromisse“ gesucht, erklärten die Sondierer am Freitag. Und tatsächlich ist für die Leserin und den Leser des Papiers in einigen Bereichen schon in etwa klar, wo die Reise hingeht.

Dabei gibt es bittere Pillen für die Grünen* (etwa beim CO2-Preis und dem Tempolimit), die SPD* (bei Steuerentlastungen für Geringverdiener), aber auch für die FDP* (etwa beim Mindestlohn und Entlastungen für Besserverdiener) und ihre jeweiligen Wählergruppen zu entdecken. Immerhin trennen die Parteien in einigen Bereichen, etwa bei Steuern und Finanzen, beinahe Welten*.

An anderen Stellen waren sich die Parteien vermutlich recht schnell einig - zum Beispiel beim Thema Migration, bei gesellschaftspolitischen Weichenstellungen oder in Sachen Bürokratie-Abbau. Augenfällig ist, dass einige Vorhaben mit der Union undenkbar wären. Beispielsweise das angedachte Absenken des Wahlalters.

Die wichtigsten Inhalte im Überblick:

Ampel-Verhandlungen: Das Thema Klima - keine Änderung bei CO2-Preis, kein Tempolimit, aber Paris im Auge?

Die drei Ampel-Parteien wollen in Sachen Klima weiter gehen als die GroKo - und zum Beispiel eine „sektorenübergreifende“ und mehrjährige „Gesamtrechnung“ aufstellen. Besonders im Fokus stehen bei diesem Thema natürlich die Grünen. Mit einigen Wahlprogramm-Punkten* konnte sich die Öko-Partei durchsetzen: Etwa bei der Nutzung von zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft oder verpflichtenden Solardächern bei Gewerbeneubauten. Auch soll „idealerweise“ schon bis 2030 aus der Kohle ausgestiegen werden. Beim wohl plakativsten Punkt hat aber scheinbar die FDP die Oberhand behalten*.

Denn von einem CO2-Preis oder auch dem angedachten Energiegeld für die Bürger ist nicht mehr die Rede. Stattdessen soll der Emissionshandel „überarbeitet“ werden. Entlastung soll es über die Abschaffung der EEG-Umlage im Strompreis geben. In diesen Bereich ist aber auch noch einiges an Präzisierung möglich. Auch eine weitere Kröte müssen die Grünen schlucken: Ein Tempolimit soll nicht kommen. Eine weitere klare Ansage findet sich zum Verbrenner. Ab 2035 könnten „nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden“.

Streit-Thema Finanzen und Steuern: Aus für die Vermögensteuer - keine Entlastung für Geringverdiener?

SPD und Grüne wollen Klein- und Mittelverdiener entlasten und Besserverdiener stärker steuerlich einspannen - die FDP war kategorisch gegen Steuererhöhungen. Das Resultat könnte dem Sondierungspapier zufolge ein steuerpolitischer Stillstand sein. Pläne wie Vermögensteuern scheinen ebenso vom Tisch wie große Steuererleichterungen. Von Zweiteren ist schlicht keine Rede im Papier: „Wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen und Steuern wie zum Beispiel die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer nicht erhöhen“, schreiben die Sondierer. Lediglich „Superabschreibungen“ sollen bei Privatinvestitionen helfen.

Wo das Geld für die gewünschten Investitionen herkommen soll? Viel steht nicht im Papier, der entscheidende Satz trägt klar die Handschrift der FDP: Man wolle „überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen“.

Ampel-Koalition: SPD und die Arbeit - der Mindestlohn kommt, die FDP erhält „Experimentierräume“

Die eindeutigste Nachricht: Der von der SPD vehement geforderte Mindestlohn von 12 Euro* könnte mit der Ampel wohl Realität werden. Nach der „einmaligen Anpassung“ soll aber wieder die Mindestlohnkommission übernehmen. Im Gegenzug gibt es zum einen neue Grenzen für Mini- und Midi-Jobs geben - bei 520 beziehungsweise 1.600 Euro. Außerdem soll es im Rahmen von Tarifverträgen „Experimentierräume“ geben, in denen die Tageshöchstarbeitszeit fallen könnte. Solo-Selbstständige sollen „besser abgesichert werden“. Auch hier kann noch kräftig ausformuliert und präzisiert werden.

Ampel und die Rente: Eine Garantie für die SPD und ein Aktien-Plan für die FDP

Ein zentraler Satz im Sondierungspapier für Olaf Scholz‘ SPD: „Wir werden daher die gesetzliche Rente stärken und das Mindestrentenniveau von 48 Prozent sichern. Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.“ Im direkten Gegenzug bekommt aber auch die FDP einen Wunsch erfüllt. Eine „teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung“ soll kommen. Die Rentenkasse soll 10 Milliarden Euro bekommen - und sie auch am Kapitalmarkt anlegen dürfen.

Einen recht großen Wurf planen die Ampel-Sondierer wohl bei der privaten Altersvorsorge. Ein obligatorischer aber abwählbarer „Fonds“ soll „geprüft“ werden, zudem sollen womöglich Angebote abseits der Riester-Produkte förderbar werden. Samt Zuschüssen für untere Einkommensgruppen. Ein Player sollen die privaten Versicherer übrigens auch in der Krankenversicherung bleiben - gesetzliche und private Systeme sollen hier erhalten bleiben.

Hartz IV wird Thema für die Ampel: Bürgergeld steht im Sondierungspapier

„Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV*) werden wir ein Bürgergeld einführen“, heißt es im Sondierungsfazit von SPD, Grünen und FDP. Die genaue Ausgestaltung bleibt noch etwas wolkig. Auf der einen Seite werden Erhöhungen und Erleichterungen angedeutet - das Bürgergeld solle „die Würde“ achten, eher entgegenkommende Corona-Regeln zu Schonvermögen und Wohnungsgrößen sollen bleiben. Andererseits ist aber auch zu lesen: „An Mitwirkungspflichten halten wir fest“ sowie das Bürgergeld solle „Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellen.“

Ampel-Papier: Kinder und Bildung als Kernthema? Pläne für Grundsicherung und Bafög

Auch FDP-Chef Lindner hat am Freitag „Aufstiegschancen“ als Ziel proklamiert. Ein Niederschlag im Sondierungspapier: Es soll ein Kindergrundsicherungsmodell geben, Gelder sollen „automatisiert“ ausgezahlt werden. Zugleich soll das lange vernachlässigte Bafög reformiert werden. Die Rede ist von einem elternunabhängigen Modell.

Ein weiteres griffiges Vorhaben: Die vieldiskutierte Absenkung des Wahlalters soll kommen. „Das Wahlalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament wollen wir auf 16 Jahre senken“.

Wirtschaft: Ampel stellt Geld für Forschung in Aussicht

„Investitionen“ haben im Wahlkampf alle drei Parteien gefordert. SPD und Grüne hatten dabei aber eher den Staat im Auge, die FDP auch die privaten Unternehmen. Im Kapitel zur Wirtschaftspolitik findet sich nun beides - allerdings kein konkreter Plan zur Finanzierung. In jedem Falle sollen Förderungen - etwa für Gründer und Innovationsprojekte - „entbürokratisiert“ werden, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sollen auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen, staatliche Banken könnten Risikoinvestitionen absichern. Strukturschwache Regionen sollen gefördert werden.

Ampel und die Fragen Mieten und Wohnen: Kompromiss ohne ganz große Würfe?

400.000 neue Wohnungen jährlich wünschen sich die Ampel-Sondierer, davon 100.000 öffentlich geförderte. Der im Papier zu findende Teil der Lösung klingt ein wenig nach Plattenbau-Tagen: Durch „serielles Bauen, Digitalisierung, Entbürokratisierung und Standardisierung“ sollen Kosten gesenkt werden. Ein Mieten-Deckel war mit der FDP offenbar nicht zu machen. Allerdings sollen bestehende Instrumente nicht wegfallen: „Daher werden wir die geltenden Mieterschutzregelungen evaluieren und verlängern“, heißt es im Papier. Ein neues Element wäre die ebenfalls erwähnte „Wohngemeinnützigkeit“.

Migration, Rechte für Frauen, Trans- und Homosexuelle: Ampel findet viele gesellschaftspolitische Übereinstimmungen

Ein großes Kapitel widmen SPD, Grüne und FDP der Gesellschaftspolitik - hier waren offenbar recht schnell gemeinsame Standpunkte zu finden. Die Stoßrichtung: Alles wird ein wenig liberaler. „Wir wollen unsere Rechtsordnung der gesellschaftlichen Realität anpassen“, heißt es. Im Augen haben die Parteien unter anderem „das Staatsangehörigkeitsrecht, das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin“. Möglich werden sollen unter anderem „Verantwortungsgemeinschaften“ oder ein „Pakt für das Zusammenleben“.

Erleichterungen soll es auch bei Arbeitsmigration, Aufenthaltsrecht und Einbürgerungen geben. SPD, Grüne und FDP fordern unter anderem ein „modernes Staatsangehörigkeitsrecht“, ein „Punktesystem“ bei der Gewinnung von Fachkräften, aber auch einen sicheren Aufenthaltsstatus für gut integrierte und wirtschaftlich selbstständige Menschen - „Spurwechsel“ inklusive*. Auch eine Passage zur Asylpolitik findet sich im Text: Aus Grundgesetz, Menschenrechts- und Flüchtlingskonvention ergebe sich der Auftrag, „das Sterben auf dem Mittelmeer genauso wie das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden. Wir wollen die Verfahren zur Flucht-Migration ordnen und die ausbeuterischen Verhältnisse auf den Fluchtwegen bekämpfen.“

Zugleich wollen die Ampel-Parteien die „Gender-Pay-Gap“ bekämpfen, die Teilhabe von Frauen fördern - aber auch Eingriffe der Sicherheitsbehörden kritisch prüfen. Und zwar tiefgreifend: Man wolle eine „gesamtheitliche Betrachtung der Eingriffsbefugnisse des Staates vornehmen und eine Generalrevision der Sicherheitsarchitektur durchführen“, heißt es. (fn) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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