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Lockerungen nach „erstaunlichem Wunder“? Warum es in Nordkorea keine Corona-Wende à la China geben wird

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Von: Sven Hauberg

Angeblich hat Nordkorea die Corona-Pandemie hinter sich gelassen. Eine Öffnung, wie sie nun China hingelegt hat, erscheint allerdings unwahrscheinlich.

München – Für die Menschen in Nordkorea begann das neue Jahr mit martialischen Bildern. Das Staatsfernsehen des abgeschotteten Landes zeigte am Sonntag Aufnahmen von Diktator Kim Jong-un in einer Waffenfabrik, wie er lange Reihen von rund zwei Dutzend Hwasong-12-Raketen abschreitet. Die ballistischen Mittelstreckenraketen, die zuletzt im Oktober getestet wurden, haben eine Reichweite von geschätzt bis zu 6.000 Kilometern und können Experten zufolge auch nukleare Sprengköpfe transportieren. Kim war nicht alleine in die Fabrik gekommen, die den Analysten des Portals NK News zufolge am westlichen Stadtrand der Hauptstadt Pjöngjang liegt: An seiner Seite war seine Tochter, die erstmals im November öffentlich in Erscheinung getreten war. Wie die junge Frau heißt und wie alt sie ist, ist nicht bekannt – wie so vieles, was derzeit in Nordkorea passiert.

Abgeschottet war die Kim-Diktatur schon immer. Während der Corona-Pandemie aber zog das Land die letzten Zugbrücken hoch. Auch die Grenze zu China wurde geschlossen, das Virus sollte so von Nordkorea ferngehalten werden. Mehr als zwei Jahre lang scheint das geklappt zu haben; zumindest offiziell meldete Pjöngjang keinen einzigen Corona-Fall. Mitte Mai 2022 aber änderte sich das schlagartig, als Nordkoreas Staatsmedien plötzlich zugaben, dass Millionen Menschen in dem Land an „Fieber“ erkrankt seien, darunter auch Machthaber Kim. Massenhaft Todesfälle hat es aber anscheinend nicht gegeben.

Kim Jong-un verkündet ein Corona-Wunder in Nordkorea – doch die Zweifel sind groß

Ein paar Wochen später war der Spuk angeblich wieder vorbei. Das Regime erklärte, man habe das Coronavirus besiegt, die Regierung sprach von einem „erstaunlichen Wunder“. Der Korea-Experte Ramon Pacheco Pardo vom Londoner King‘s College glaubt hingegen, dass sich das Virus noch immer im Land ausbreitet, ein großer Teil der Bevölkerung aber bereits durchseucht ist. Auch deshalb habe man die Grenze zu China wieder ein Stück weit geöffnet, sagte Pardo dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. „Ich gehe davon aus, dass Nordkorea die Beschränkungen für Reisende und auch für Diplomaten, die möglicherweise ins Land zurückkehren wollen, vorsichtig aufheben wird.“ Wichtig ist für das Land vor allem ein halbwegs ungehinderter Grenzverkehr mit China – der große Nachbar war vor der Pandemie für 95 Prozent des nordkoreanischen Außenhandels verantwortlich.

Nordkoreas Herrscher Kim Jong-un lässt sich von seinem Volk feiern.
Nordkoreas Herrscher Kim Jong-un lässt sich von seinem Volk feiern. © afp/kcna via kns

Eine 180-Grad-Kehrtwende, wie sie Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping unlängst seinem Land verordnet hat, dürfte Kim Jong-un allerdings kaum hinlegen. In China infizieren sich derzeit jeden Tag viele Millionen Menschen, Prognosen sagen Hunderttausende Tote voraus. Das dürfte die Führung in Pjöngjang, die noch immer mit Lockdowns und anderen Corona-Maßnahmen ein Wiederaufflammen der Pandemie verhindern will, aufgeschreckt haben. Zumal das nordkoreanische Gesundheitssystem als extrem unterentwickelt gilt, viele der 25 Millionen Einwohner unterernährt sind und die Impfquote vermutlich niedrig ist. Westliche und chinesische Impfstoffangebote aber wies das Kim-Regime stets zurück, auch ein Angebot der COVAX-Initiative wurde abgelehnt.

Erst im September 2022 soll Nordkorea in seinen Grenzgebieten mit Massenimpfungen begonnen haben. Das zumindest berichtete der südkoreanische Geheimdienst, der zudem behauptete, dass die Pandemie im Norden der koreanischen Halbinsel alles andere als besiegt sei. Wahrscheinlich ist, dass Vakzine aus China eingesetzt werden, verlässliche Angaben gibt es allerdings nicht. Möglich sind Experten zufolge auch Lieferungen aus Russland.

Kim Jong-un will das nordkoreanische Nukleararsenal „exponentiell“ erhöhen

Chinas Corona-Kehrtwende wurde mutmaßlich auch von den Protesten vorangetrieben, die Ende November in Dutzenden Städten im ganzen Land ausgebrochen waren. Nordkoreas Kim hat derartige Demonstrationen nicht zu fürchten – sein Regime regiert mit eiserner Hand, Aufstände sind quasi ausgeschlossen. Damit das so bleibt, strickt Kim weiterhin fleißig an der Legende, sein Land werde von den USA und Südkorea bedroht und nur sein Regime könne die Bürgerinnen und Bürger Nordkoreas beschützen. So sichert er sich die Gefolgschaft seines Volkes.

Beide Länder, Südkorea und die USA, wollten Nordkorea militärisch maximal unter Druck setzen, behauptete Kim einmal mehr am vergangenen Wochenende, zum Ende des jährlichen Parteitags seiner Regierungspartei. Um sich gegen den „unbestrittenen Feind“ Südkorea zur Wehr zu setzen, müsste das nordkoreanische Nukleararsenal „exponentiell“ erhöht und weitere Interkontinentalrakete für „einen schnellen nuklearen Gegenschlag“ entwickelt werden. Offenbar ist Kim derzeit nicht zufrieden mit der militärischen Entwicklung in seinem Land: Staatsmedien zufolge feuerte Kim ebenfalls am Wochenende den zweithöchsten Militäroffizier des Landes, Pak Jong-chon. Die Nummer eins in Nordkoreas Militär ist Kim selbst.

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Lässt Kim Jong-un erneut Atomwaffen testen?

Unklar ist, ob Nordkorea derzeit vor einem weiteren Atomwaffentest steht – es wäre der erste solche Test seit 2017. „Einerseits hat sich Nordkorea zu einer ‚verantwortungsvollen‘ Atommacht erklärt und braucht eigentlich keine neuen Tests, um eine Botschaft zu auszusenden“, sagt Korea-Experte Ramon Pacheco Pardo. „Andererseits würde jeder neue Test dazu beitragen, die technologischen Fähigkeiten Pjöngjangs zu verbessern. Letztendlich wird es eine politische Entscheidung Kims sein, ob er einen neuen Test durchführt oder nicht.“ Im vergangenen Jahr hatte Nordkorea so viele Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen wie nie zuvor getestet, darunter auch ballistische Raketen, was dem Land durch UN-Resolutionen eigentlich untersagt ist.

Angesichts der Bedrohungen aus dem Norden will Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol verstärkt mit Washington zusammenarbeiten und sein Land enger in das nukleare Abschreckungssystem der USA einbinden. Zu diesem Zweck rede man mit der US-Regierung über gemeinsame Planungen und Übungen, was die nuklearen Fähigkeiten betreffe, so Yoon am Montag in einem Zeitungsinterview. Konkrete Absprachen gibt es allerdings offenbar noch nicht, wie US-Präsident Joe Biden als Reaktion auf Yoons Äußerungen erklärte.

So oder so: Gemeinsame Übungen von Südkorea und den USA dürften das Kim-Regime ohnehin kaum davon abhalten, weiter aufzurüsten, glaubt Pardo. „Solange es keinen klaren Willen gibt, sich an einen Tisch zu setzen und zu verhandeln, insbesondere vonseiten des Kim-Regimes, wird sich an der derzeitigen Situation auf der koreanischen Halbinsel nicht viel ändern.“

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