„Anzeichen auf Hochverrat“: Russische Politiker fordern offen Putin-Rücktritt
Durch die ausbleibenden Erfolge für Russland im Ukraine-Krieg wird die Kritik an Wladimir Putin lauter. Mehrere Lokalpolitiker forderten nun öffentlich den Rücktritt des Präsidenten.
Moskau – Das Momentum im Ukraine-Krieg könnte sich in den vergangenen Tagen gewendet haben. Nachdem die ukrainischen Truppen den Vorstoß der russischen Streitkräfte über die letzten Monate hinweg deutlich verlangsamen konnten, hat Kiew nun weitere Gegenoffensiven gestartet. Vor allem in der Region Charkiw im Nordosten des Landes konnte man dabei in den letzten Tagen massive Gebietsgewinne erzielen. In diesem Zusammenhang häuften sich auch Berichte über den unkoordinierten Rückzug von russischen Soldaten.
Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte noch in der vergangenen Woche auf einer Rede auf dem Wirtschaftsforum in Wladiwostok, dass Moskau seine Ziele im Krieg gegen das Nachbarland erreichen werde. Die ausbleibenden militärischen Erfolge und die hohe Zahl an russischen Verlusten werfen jedoch ein schlechtes Licht auf den Kreml-Chef. Die Unzufriedenheit mit den Entscheidungen des Präsidenten steigt, sodass russische Politiker mittlerweile sogar öffentlich Kritik an dem Staatschef äußern.

Putin unter Druck: Russische Lokalpolitiker fordern Rücktritt
Kommunalpolitiker aus den russischen Metropolen Moskau und St. Petersburg sind dabei in der vergangenen Woche so weit gegangen, dass sie Wladimir Putin offen zum Rücktritt aufgefordert haben. Politiker aus dem Moskauer Stadtteil Lomonossow veröffentlichten eine Erklärung, die sich gegen den Präsidenten richtet. In dem Schreiben, das auch auf Twitter veröffentlicht wurde, erklären sie über den Staatschef: „Wir bitten Sie, sich von Ihrem Posten zu entbinden, da ihre Ansichten, ihr Führungsmodell hoffnungslos veraltet sind“.
Zwar gestehen die Verfasser des Schreibens ein, dass Putin zu Beginn seiner Zeit als Kreml-Chef noch gute Reformen durchgesetzt hatte, das Negative in seiner Politik würde jedoch mittlerweile überwiegen. „Die Rhetorik, die Sie und Ihre Untergebenen verwenden, ist seit Langem von Intoleranz und Aggression durchsetzt, was unser Land am Ende tatsächlich in die Zeit des Kalten Krieges zurückgeworfen hat“, so der direkte Vorwurf. Russland würde durch Putins Entscheidungen nun auf der ganzen Welt wieder gefürchtet und gehasst werden. Oppositionspolitiker Wladimir Kalinin verlas die Erklärung sogar in einem Video, das über soziale Netzwerke geteilt wurde.
Wladmir Putin: Russische Politiker fordern Anklage wegen Hochverrats
Nur einen Tag vor der Veröffentlichung des Schreibens aus Moskau hatten Lokalpolitiker aus dem Stadtteil Smolninskoje in St. Petersburg einen ähnlichen Vorstoß gewagt. Ebenfalls mit einem Schreiben wandten sich die Abgeordneten an das russische Parlament und forderten für Wladimir Putin nichts Geringeres als eine Anklage wegen Hochverrats.
„Es gibt Anzeichen für ein in Artikel 93 der Verfassung der Russischen Föderation vorgesehenes Verbrechen – Hochverrat“, heißt es in dem Schreiben. Unter Putins Führung würden die russischen Streitkräfte an allen Fronten im Ukraine-Krieg versagen, führen die Verfasser weiter aus. Die russische Armee sei wegen der zahlreichen Verluste auf dem Schlachtfeld erheblich geschwächt worden. Die russische Wirtschaft leide darüber hinaus unter den harten wirtschaftlichen Sanktionen des Westens gegen Moskau.
Rücktrittsforderungen gegen Putin: Russland geschwächt - die Nato gestärkt
Doch während Russland deutlich geschwächt wurde, profitieren nach Ansicht der Abgeordneten die Ukraine und der Westen von den jüngsten Entwicklungen im Krieg. Die Verfasser sehen die Nato als großen Gewinner des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine an. Alleine durch die Aufnahme von Finnland in das Militärbündnis würden sich die gemeinsamen Grenzen zwischen Russland und den Nato-Ländern mehr als verdoppeln. Ein Szenario, das auch deswegen problematisch ist, weil die Nato nach Ansicht Putins das größte Sicherheitsrisiko für die Russische Föderation darstelle.
Und auch die ukrainische Armee sehen die Lokalpolitiker aus St. Petersburg deutlich gestärkt im Vergleich zu den russischen Streitkräften. Der Kreml-Chef hatte zu Beginn der sogenannten „Spezialoperation“ in der Ukraine die Entmilitarisierung des Landes als eines der Hauptziele ausgerufen. Über sechs Monate nach der russischen Invasion stehe das ukrainische Militär jedoch gestärkt da. Vor allem wegen der Lieferung von neuster Waffentechnologie durch westliche Staaten in das Kriegsgebiet hätten die Ukrainer einen entscheidenden Vorteil.
Angeblich macht sich beim Militär von Russland und Wladimir Putin sogar Furcht breit, was zu einem Soldatenmangel führe.
Abstimmung in St. Petersburg: Eigene Partei fiel Putin wohl in den Rücken
Besonders interessant: Die Forderungen an die Staatsduma wurde per Abstimmung durch den Stadtrat von Smolninskoje abgesegnet. Wie der Kommunalpolitiker Nikita Yurefev in einem Tweet mitteilte, war der Abstimmungserfolg nur deshalb möglich, weil die Vertreter von Putins Partei „Einiges Russland“ der Abstimmung im Stadtrat fernblieben. Hätten die Abgeordneten bei der Abstimmung gegen die Forderungen votiert, hätte die Opposition keine Mehrheit gehabt. Putins eigene Partei ist dem russischen Präsidenten also in seiner Heimatstadt in den Rücken gefallen. Die Partei konnte trotz der angespannten Situation in der Ukraine bei den Regionalwahlen am Wochenende in weiten Teilen des Landes die Mehrheit einfahren.
Dass die Forderungen der Kommunalpolitiker aus Moskau und St. Petersburg wirklich zu einem Rücktritt des Präsidenten führen könnten, ist sehr unwahrscheinlich. Zu gering ist der Einfluss der Unterzeichner und zu groß der des Kreml-Chefs. Die Vorgänge zeigen jedoch erneut eine steigende Unzufriedenheit in der russischen Politik und Bevölkerung. Zumal es in Russland nicht ungefährlich ist, so offen Kritik an Putin zu äußern. Das hat nicht zuletzt der Fall des mittlerweile inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny gezeigt.
Das bekamen auch die Verfasser der Rücktrittsforderungen zu spüren. Die Politiker wurden von der Polizei vorgeladen und angezeigt. Der Vorwurf: „Diskreditierung des Einsatzes der Streitkräfte der Russischen Föderation“. (fd)