Iran siegt gegen Wales – Drei Punkte für das Regime?

Durch den Erfolg sichert sich die iranische Auswahl die Chance aufs Achtelfinale. Kritiker fürchten, das Regime könne sich die Stimmung zu nutzen machen.
Frankfurt – Der Sieg kam spät, doch er kam. Mit einem platzierten Schlenzer sorgte Rouzbeh Cheshmi in der 98. Minute für das erste Tor der Partie, in der sich die walisische Auswahl in Unterzahl einen Punkt sichern wollte. Kurz nach dem 2:0 durch Ramin Rezaeian in der 101. Minute ist dann Schluss. So herrscht Freude über die Aussicht auf eine erstmalige Teilnahme an den K.o.-Runden.
Dabei war das WM-Turnier für den Iran alles andere als erfreulich gestartet. Unerfreulich für die Mannschaft nach den 2:6-Klatsche gegen England und im doppelten Sinne unerfreulich für das Regime in Teheran. Konnte man sich schon nicht mit sportlichem Erfolg brüsten, den die Auswahlspieler stellvertretend für ihr System holen sollten, musste man zuschauen, wie die Spieler vor der Partie gegen England demonstrativ zur Nationalhymne schwiegen.

Der symbolische Wert der Nachricht war unverkennbar. „Das kollektive Schweigen hat hohe Wellen geschlagen“ kommentierte Sportjournalist Farid Ashrafian in einem NDR Interview. „Man muss bedenken, dass es sich nicht um die eigentliche, traditionelle Nationalhymne für die Iranerinnen und Iraner handelt, sondern um die Hymne der Islamischen Republik. Damit identifizieren sich die Bürgerinnen und Bürger nicht.“ Iranische Fans im Stadion zeigten zudem Protestplakate, unter anderem mit der aus den Protesten bekannten Wahlspruch „Women – Life – Freedom“. Passend zum 25. November, dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.
Nach dem Sieg des Iran bei der WM – Präsident bedankt sich für „so viel Freude beim Volk“
Im Umkehrschluss befürchten Kritiker nun, dass der Erfolg der Mannschaft von der politischen Führung instrumentalisiert werden könnte, um von den landesweiten Protesten und den bislang Hunderten von Toten abzulenken, oder ihnen zumindest durch Ablenkung die Dynamik zu nehmen.
Nun ist es in keinem Staat etwas Ungewöhnliches, wenn sich Politiker in hohen Ämtern öffentlichkeitswirksam zu sportlichen Erfolgen einer Landesauswahl äußern. So meldete sich auch Irans umstrittenerer Präsident Ebrahim Raisi nach der Partie zu Wort. „Ich bedanke mich für euren unermüdlichen Einsatz, der für so viel Freude beim Volk gesorgt hat. (...) Unsere Gebete werden euch auch auf eurem weiteren Weg begleiten“, verkündete der Präsident. Die Opposition entgegnete in Richtung Raisi. „Es wäre schön, wenn wir heute alle diesen Sieg ausgiebig feiern könnten, wenn wir nicht um unsere Toten trauern würden“, sagte die Oppositionspolitikern Asar Mansuri.
Während des Gruppenspiels des Iran – gewaltsame Auseinandersetzungen im Land
Dass für viele Menschen ihr Protest gegen das Regime auch während der WM nicht ruhen wird, zeigte sich unterdessen im Südosten des Landes. Wie das ZDF berichtet, kam es in der Provinz Sistan-Balutschistan zu Protesten, die laut Aktivisten vor Ort wieder Dutzenden Menschen das Leben kostete. Noch am selben Tag hatte die Führung in Teheran, die vom UN-Menschenrechtsrat beschlossene Untersuchung der Gewalt im Iran kritisiert. Der Iran lehne die Resolution „entschieden ab“, erklärte das Außenministerium in Teheran.
Die Titelseiten der großen Zeitungen konzentrierten sich indessen auf Fußball. „Willkommen zurück zur WM“, schrieb die Tageszeitung „Shargh“. „Iran ist wieder da“, meinte „Shahrvand“, und für die „Etemad“ war es „der beste Sieg nach der schlimmsten Niederlage“. Für ein Weiterkommen bei der WM braucht das iranische Team lediglich einen Punkt. Gegner ist am Dienstag niemand geringeres als die USA. (nki mit dpa)