Trotz Entgegenkommen: Erdogan lässt Schweden weiter zappeln – dafür drohen nun unliebsame Konsequenzen

Erdogans Türkei blockiert Schwedens Nato-Beitritt weiterhin. Die neue Rechts-Regierung will ihm entgegenkommen – und stößt auf unerwartete Probleme.
Ankara/Stockholm – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nicht nur einen brisanten Wahlkampf vor der Brust – sondern weiterhin auch die Nato-Beitrittskandidaten Schweden und Finnland in der Hand: Die Türkei verweigert nach wie vor ihre Zustimmung zur Aufnahme der beiden skandinavischen Länder. Als nunmehr einziges Land abgesehen von Ungarn. Womöglich, so argwöhnen Beobachter, um für die Regierungspartei AKP öffentlichkeitswirksam auszuschlachtende Zugeständnisse herauszuverhandeln.
Am Dienstag (8. November) reiste der neue schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson nach Ankara – zu seiner ersten Dienstreise außerhalb der EU. Sein Ziel: Im Gespräch mit Erdogan die Blockade auflösen. Kristersson hatte bereits ein Angebot gemacht, das auch im eigenen Land auf Skepsis und teils harte Kritik stößt. Auch unangenehme praktische Konsequenzen könnte es haben. Dennoch zeigte Erdogan dem Land einmal mehr die kalte Schulter.
„Schweden will eine Nato-Beitrittschaft für seine eigene Sicherheit, und wir wollen sehen, dass uns Schweden in den Bemühungen für unsere Sicherheit unterstützt“, sagte Erdogan nach dem Treffen. Er begrüße zwar die Verpflichtung Stockholms auf die Einigung von Madrid – er habe aber auch die Forderung nach klaren Schritten deutlich gemacht. Er hoffe auf positivere Signale beim nächsten Treffen – beim Dreiertreffen mit Schweden und Finnland Ende November.
Kristersson äußerte Verständnis für den Kampf der Türkei gegen „PKK-Terrorismus“. Und betonte, die Nato-Mitgliedschaft sei ein wesentliches Ziel Schwedens. Dafür müsse Schweden Sicherheit für alle Nato-Partner gewährleisten. Man werde die Übereinkunft von Madrid vollständig umsetzen.
Schweden ändert für Erdogan den Kurs: Kritik und offenbar unerwartete Probleme folgen
Am Samstag (5. November) hatte Kristerssons Außenminister Tobias Billström im öffentlich-rechtlichen Radio SR die Unterstützung für die syrisch-kurdische Miliz YPG und deren politischen Arm PYD zu den Akten gelegt – die sozialdemokratische Vorgänger-Regierung hatte das trotz Druck aus Ankara lange vermieden. YPG galt als ein wichtiger Verbündeter des Westens im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Die Türkei sieht die Gruppe aber als Unterstützer der als Terrororganisation gebrandmarkten kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Lediglich Ankara, Katar und nun offenbar auch Schweden betrachteten die YPG als terroristisch, rügte der Politikwissenschaftler Carl Melin in einem Tweet. Laut einem Bericht des Aftonbladet könnte diese eher einsame Einstufung allerdings unangenehme Konsequenzen haben – die die Regierung wohl nicht auf dem Schirm hatte. Die YPG drohte mit der Ausweisung festgenommener schwedischer IS-Kämpfer, „tickender Zeitbomben“, wie ein Sprecher betonte. Man werde sich mit der Frage befassen, reagierte Billström dem Bericht zufolge knapp auf die neue Sachlage.
Billström ließ keinen Zweifel an den Gründen für den Kurswechsel in Sachen YPG: Der Nato-Beitritt wiege schwerer. Zugleich ordnete er die Türkei explizit als Demokratie ein. Dafür fing er sich Kritik ein: „Es gibt keine akzeptierte Definition von Demokratie, derzufolge die heutige Türkei als Demokratie angesehen werden kann“, urteilten die Politikwissenschaftler Staffan I. Lindberg, Åsa Wikforss und Mårten Wikforss in einem Debattenbeitrag.
Erdogan: Unerfüllbare Forderungen für Schweden? Experte warnt
Kristersson schien schon vor der Pressekonferenz am Nachmittag Erdogan rhetorisch entgegenzukommen. „Eine der Hauptprioritäten dieser Regierung ist es, Kriminalität, Organisierte Kriminalität und Terrorismus zu bekämpfen“, sagte er der Agentur Reuters zufolge in Ankara.
Schon Ende September hatte Schweden erstmals seit 2019 wieder den Export von Kriegsmaterial an das Nato-Mitglied Türkei bewilligt. Dass sich die Türkei mit diesen Zugeständnissen zufriedengeben wird, scheint aber fraglich. Erdogan habe erkannt, dass Schweden mehr als kompromissbereit sei, zitierte der Tagesspiegel den Göteborger Ideengeschichtler und Türkei-Experte Klas Grinell. Eine mögliche weitere Forderung Ankaras wird die Auslieferung von gut 70 „Terroristen“ sein. Wobei, so Grinells Einschätzung, diese mit dem schwedischen Rechtsstaat kaum vereinbar sei.
Türkei blockiert Schwedens Nato-Beitritt: Erdogan-Vertrauter spielt mit Zuckerbrot und Peitsche
Fahrettin Altun, Kommunikationsdirektor und enger Berater Erdogans, hatte Schweden am Montag (7. November) in einem Gastbeitrag für die Zeitung Aftonbladet gewissermaßen mit Zuckerbrot und Peitsche bearbeitet: Man sei zwar „vorsichtig optimistisch“, dass Schweden konkrete Schritte ergreife, um die Bedenken der Türkei zu Terrororganisationen auszuräumen, schrieb er. Kristerssons Besuch müsse daher als „eine historische Möglichkeit für Schwedens Eintritt in die Nato“ betrachtet werden. Der Beitrittsantrag werde aber weiter darauf geprüft, ob Stockholm die im Abkommen von Madrid vereinbarten Schritte unternehme.
Diese umfassen besagte „Rückführung von Terrorverdächtigen“ – aber etwa auch ein Einschreiten gegen „Terrorpropaganda“ gegen die Türkei. Zuletzt hatte Erdogan auch noch einmal gerügt, Schweden gewähre PKK-Aktivisten Asyl.
Erdogan setzt unterdessen auch innenpolitisch seinen Kurs unbeirrt fort: Die türkischen Behörden haben erneut dutzende Menschen wegen mutmaßlicher Verbindungen zum islamischen Prediger Fethullah Gülen festgenommen. 27 Verdächtige seien in Ankara und Istanbul festgenommen worden, teilten die Behörden am Dienstag mit. (fn mit Material von AFP)