Corona-Desaster? Papier liegt Merkur.de vor - FDP entsetzt über Zustand von Merkels Afrika-Plänen

Keine Prioritäten, keine epidemiologischen Leitlinien, keine ethischen Überzeugungen? Die FDP reagiert entsetzt auf eine Ministeriums-Auskunft zum Thema Corona-Impfungen. Das Papier liegt Merkur.de vor.
- Deutschland will Corona in aller Welt bekämpfen helfen - auch mit dem Aufbau von Impfstoffproduktion in Afrika.
- Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP zeigt aber: Die Maßnahmen sind noch nicht sehr weit gediehen. Das Papier liegt Merkur.de vor.
- Die Liberalen werfen der Regierung Mangel an Plan und ethischen Überzeugungen vor. Ein wichtiger Punkt dabei auch: Die Pläne für Booster-Impfungen in Deutschland.
Berlin - Neue Normalität - oder bald weitere Lockdowns? Deutschland und der ganzen Nordhalbkugel steht ein unsicherer Corona-Winter bevor. Ein Hauptgrund ist die stete Sorge vor weiteren Virus-Mutationen: Erst jüngst kamen Warnungen vor der neuen, womöglich auch für Geimpfte bedenklicheren, „My“-Variante. Unter anderem SPD-Experte Karl Lauterbach erläuterte, warum die Lage weiter so gefährlich ist - und teils hausgemacht: „Wenn eine Variante wie My auch zu hoher Ansteckung mutiert, wäre das äußerst gefährlich. Bei Milliarden Ungeimpfter jederzeit möglich.“
Die Schlussfolgerung ist auch nach Ansicht vieler weiterer Experten klar: Weltweit, nicht nur in den Industriestaaten, muss es breiten Zugang zu Corona-Impfungen geben. So lautet auch das erklärte Ziel der Bundesregierung. Doch just in diesem Punkt sieht die Bundestags-FDP* Deutschland weit hinter den gesteckten Zielen zurückbleiben. Die Liberalen haben Merkels Regierung eine Kleine Anfrage zum Thema Impfstoff-Produktion in Afrika gestellt - und sind über die Antwort teils entsetzt. Das Papier liegt Merkur.de* vor.
Corona-Impfungen: FDP rügt Merkel - „Keine politischen Prioritäten, epidemiologischen Leitlinien oder ethischen Überzeugungen“
Die Sorge, dass den reichsten Staaten Versäumnisse beim globalen Impf-Fortschritt auf die Füße fallen könnten, ist nicht neu. SPD, Grüne, FDP und Linke hatten schon im Frühjahr auf Anfrage vor massiven Problemen gewarnt. Weitere Mutationen seien bei hoher globaler Verbreitung „unausweichlich“, erklärte der FDP-Abgeordnete und Infektiologe Andrew Ullmann damals - diese könnten „die Wirksamkeit unserer zur Verfügung stehender Instrumente schneller aushöhlen, als sie angepasst werden können“. Gestützt wird jedenfalls der erste Teil seiner These von der in Indien entdeckten Delta-Variante, die längst in Deutschland das Infektionsgeschehen dominiert.
Ein gutes halbes Jahr später sehen der Liberale und seine Fraktion die Große Koalition bei der Unterstützung für Afrikas Impfbemühungen massiv hinter dem Zeitplan herhinken. „Die Bundesregierung hat souverän die Antwort zum Aus- und Aufbau von Produktionskapazitäten in Afrika verweigert“, erklärt Ullmann Merkur.de. Er rügt zugleich Pläne zu Booster-Impfungen in Deutschland noch vor globalen Erfolgen bei Impfungen für medizinisches Personal. Ullmanns Urteil über die schwarz-rote Regierung fällt harsch aus: „Das zeigt, dass sie keine politischen Prioritäten, keine epidemiologischen Leitlinien oder ethischen Überzeugungen im globalen Kampf gegen COVID-19 hat.“
Anlass der Schelte ist die am vergangenen Mittwoch (8. September) versendete Antwort des CSU-geführten Entwicklungsministeriums* auf die umfangreiche Kleine Anfrage aus der FDP-Fraktion. Zu lesen ist darin einerseits von einigem finanziellen Aufwand und mehreren Ansätzen, eine Impfstoff-Produktion in Afrika auf die Beine zu stellen. Klar wird aber auch: Die Bemühungen der Bundesregierung werden in wichtigen Punkten so bald nicht greifen - so richtig starten werden selbst die von Deutschland unterstützten Projekte zur Impfstoff-Abfüllung in Afrika wohl erst ab 2022 und den Folgejahren. Ziel sind gleichwohl vollwertige Produktionsanlagen.
Merkels Regierung: Corona-Hilfe für Afrika - doch die Impfstoff-Pläne zünden erst im nächsten Jahr
An finanziellem Einsatz mangelt es dabei nicht. Von rund „500 Millionen Euro aus Haushaltsmitteln, Mitteln der KfW-Entwicklungsbank (KfW) und der Unternehmensförderung der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG), für den Aufbau der Impfstoff-Produktion in Afrika“ schreibt das Ministerium in seiner Antwort. Auch für die Initiative „Access to COVID-19 Tools Accelerator“ (ACT-A) gebe Deutschland 2,2 Milliarden Euro - mehr als per „fair share“ von der Bundesrepublik gefordert ist. ACT-A soll weltweit Corona-Impfungen, -Tests, -Medikamente und medizinische Angebote erforschen und ausbauen helfen. In konkretem Kontakt stehe man mit verschiedenen Unternehmen zum Aufbau von Impfstoff-Herstellungskapazitäten in Südafrika, dem Senegal und Ghana, heißt es weiter.
Doch die Auskünfte zum Zeithorizont sind - trotz des Zeitdrucks mit Blick auf Mutationsgefahren, aber natürlich auch bei der konkreten Rettung von Menschenleben - eher ernüchternd. In Südafrika wird bereits Johnson-&-Johnson-Impfstoff abgefüllt, 2022 soll die Abfüllung des Biontech-Vakzins* folgen. In Ghana und dem Senegal werden Fortschritte noch auf sich warten lassen: Produktionspläne seien noch nicht bekannt, schreibt das Haus von Minister Gerd Müller (CSU). Immerhin: Im Senegal soll „2022“ eine Abfüllanlage in Betrieb genommen werden. Eine Impfstoffproduktionsanlage bleibe dort aber zunächst „langfristiges Ziel“.
Corona-Impfungen in aller Welt: FDP-Experte Ullmann kritisiert Booster in Deutschland - „Der falsche Weg“
Für Ullmann ist das zu wenig. „Es ist zwar sehr rühmlich, dass Deutschland mehr Geld für die globale Initiative ‚Access to COVID-19 Tools Accelerator‘ (ACT-A) als gefordert gibt. Aber das behebt nicht den Kern des Problems des internationalen Mangels an Impfstoffen“, erklärt er. „Viel zu spät wurde der Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten in Afrika angekurbelt. Damit ist wertvolle Zeit verstrichen“ - nun sei erst in „Monaten“ mit konkreten Erfolgen zu rechnen. Fraktionskollege Jens Beeck warnt davor, dass ein wichtiges Ziel verpasst werden könnte: Die vollständige Impfung von 30 Prozent der Menschen in den ärmsten Ländern bis Februar 2022.
Gerade in diesem Lichte sieht Ullmann auch die Pläne für „Booster-Impfungen“ in Deutschland kritisch. Es würden auf diesem Wege „manche zwei Rettungswesten bekommen, während andere keine einzige haben“, kritisiert er. „Das ist aus epidemiologischer Sicht der falsche Weg und vor dem Hintergrund des nationalen Impfstoffüberschusses fahrlässig.“
Corona-Impfungen: Booster in Deutschland vor Erstimpfung für medizinisches Fachpersonal? Ministerium weicht Frage aus
Auch die Themen Impfstoff-Spenden und Booster-Impfung sind Gegenstand der Kleinen Anfrage. In einer „Vorbemerkung“ verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf den Plan, 100 Millionen Impfdosen zu spenden - im August habe man damit begonnen. Angebote an vulnerable Gruppen für Auffrischungsimpfungen habe die Gesundheitsministerkonferenz ebenfalls im August beschlossen, ist in dem Papier als Antwort auf Frage 11 zu lesen. Das entspreche der Empfehlung der WHO.
Der Frage, ob es richtig sei, in Deutschland und Europa Impfungen aufzufrischen, bevor global zumindest das medizinische Fachpersonal geschützt ist und welche Vorteile dieses Vorgehen bei der weltweiten Pandemie-Bekämpfung habe, weicht das Ministerium allerdings lieber aus. „Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung sowie auf die Antworten zu den Fragen 11 und 11a verwiesen“, heißt es schlicht. Im Punkt 11a heißt es vergleichsweise trocken: „Die COVID-19-Pandemie kann nur global und multilateral bekämpft werden. Dies bedeutet, dass der gesamten Weltbevölkerung der Zugang zu COVID-19- Impfstoffen ermöglicht werden muss.“ Einfach gesagt: Es gibt widerstreitende Ziele. Und man hat sich vorerst entschieden.
Kritik übte derweil auch die Linke: „Während in den Industrieländern schon Drittimpfungen durchgeführt werden und die Profite von BionTech in die Höhe schießen, gehen die meisten Länder des globalen Südens fast leer aus. Dort sterben jeden Tag 10.000 Menschen an den Folgen von Covid-19, weil weniger als zwei Prozent der Menschen geimpft sind“, erklärte die Abgeordnete Eva-Maria Schreiber am Dienstag. Sie forderte die Freigabe von Impfstoff-Patenten. Die Haltung der Bundesregierung, das weltweite Impfstoff-Angebot könne auch ohne Freigabe rasch erhöht werden, wirke „wie Hohn“. (fn) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.