Im Visier: Rechtsextreme bedrohen Kommunalpolitiker

Außer Ex-Landrat Pipa gibt es weitere Betroffene im Main-Kinzig-Kreis. Landtagsmitglied Lotz erhielt eine Todesanzeige.
Erich Pipa ist keiner, der Konflikte scheut oder sich kleinkriegen lässt. Doch als er vom Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) erfuhr, dachte der ehemalige Landrat des Main-Kinzig-Kreises sorgenvoll über Parallelen zu seinem Fall nach: Auch er hatte sich, etwa mit der Aussage „Das Boot ist nicht voll“, öffentlich zu seinem Einsatz für Geflüchtete bekannt. Wurde ungefähr zur gleichen Zeit wie Lübcke massiv angefeindet, bedroht. Und zwar offenbar von Leuten aus seiner Region.
Kürzlich teilte die Staatsanwaltschaft Hanau mit, sie prüfe vor dem Hintergrund des Falles Lübcke, inwiefern der 71-Jährige besonderen Schutz benötigt. Jetzt macht Oberstaatsanwältin Gabriele Türmer auf FR-Anfrage aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angaben mehr. Auch nicht zu möglichen aktuellen Hinweisen.
Erich Pipa erhält zahlreiche Drohbriefe
Pipa zog sich 2017 aus der Politik zurück. Zuvor hatte er eine Reihe von Drohbriefen bekommen, in denen er als „Kanaken-Landrat“ bezeichnet und ein „finaler Schlag“ angekündigt wurde. Die Verfahren wurden vorläufig ergebnislos angestellt. Zwar wurden DNA-Spuren gefunden, diese ließen sich allerdings nicht zuordnen. Pipa bittet um Verständnis dafür, dass er sich im Moment nicht öffentlich äußern möchte; er wolle etwas Abstand gewinnen.
In früheren Gesprächen mit der FR wurde er in diesem Zusammenhang deutlich: Er fühle sich wie ein im Stich gelassener Bittsteller. Aus seinem Umfeld ist in diesen Tagen zu hören, man hoffe, dass die Behörden nun wirklich intensiv ermittelten und nicht nur Versprechungen machten, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Sie hätten in den vergangenen Jahren zahlreiche konkrete Hinweise erhalten. Es mangele wohl an Aufklärungswillen und Personal.
Türmer weist Kritik an der Intensität der Ermittlungen zurück. Polizei und Staatsanwaltschaft seien allen Hinweisen akribisch nachgegangen. Jedoch habe kein Verdacht erhärtet werden können, auch nicht bei einer Hausdurchsuchung.

Pipa ist nicht der einzige Politiker aus dem Main-Kinzig-Kreis, der rechtsextreme Drohungen erhielt. Zu den weiteren Betroffenen gehört der Landtagsabgeordnete Heinz Lotz (SPD). Er ist dafür bekannt, klare Kante gegen rechts zu zeigen. So trieb er vor sechs Jahren mit dem Beratungsnetzwerk Hessen und dem damaligen Bürgermeister Walter Strauch (SPD) die öffentliche Aufklärung über rechtsextreme Strukturen im Raum Steinau voran.
Heinz Lotz erhielt fingierte Todesanzeige
Es ist wahrscheinlich, dass das Engagement mit einem Schreiben zusammenhängt, das Lotz nach FR-Informationen um 2014 herum erhielt: eine fingierte Todesanzeige mit seinem Namen. Eine unmissverständliche Drohung, die überdies an die Privatadresse des unter anderem auf Landwirtschaft und Naturschutz spezialisierten Sozialdemokraten ging. Der oder die Verfasser kamen wahrscheinlich aus der näheren Umgebung.
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Der gelernte Schornsteinfeger lässt sich nicht einschüchtern. Er habe die Polizei verständigt, sich aber „nichts anmerken lassen“, erinnert sich Lotz. Jetzt, nach dem Mord an Lübcke, „macht man sich schon einige Gedanken“. An seiner Haltung gegen Rechtsextremismus werde er selbstverständlich nichts ändern. Ob er wegen der Anzeige noch mal zur Polizei gehen wolle? Der 65-Jährige ist skeptisch, verweist darauf, dass das bei Pipa zumindest bislang nichts brachte. Auch er fordert mehr Einsatz in diesen Fällen.
Tobias Huth, Kreistagsabgeordneter der Linken und DGB-Sekretär, sagt, er sei bisher nicht persönlich bedroht worden. Doch als er die Kampagne „Keine AfD in den Landtag“ unterstützte und auf der Internetseite mit anderen namentlich genannt wurde, habe ein Kommentator beispielsweise sinngemäß geschrieben, es sei gut, jetzt diese Namensliste zu haben – um nach der Machtübernahme Konsequenzen ziehen zu können.
Main-Kinzig-Kreis: Rechtsextreme Szene vor allem im Ostteil aktiv
Im Main-Kinzig-Kreis ist die rechtsextreme Szene vor allem im Ostteil aktiv. Lotz und Strauch betonen, dass die Gegend kein braunes Nest sei, wie das Engagement vieler Bürger für Geflüchtete zeige. Sie warnen aber davor, die Gefahr zu verharmlosen. Dass es dafür keinen Grund gibt, wird schon an wenigen Ereignissen deutlich: Im Februar zum Beispiel wurde ein Mann aus Linsengericht, der eine Führungsfigur der Neonazigruppe Aryans sein soll, nach einer Prügelattacke auf Gegendemonstranten in Halle zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Sommer 2018 wurde in Birstein eine Fußballmannschaft ausländerfeindlich attackiert; die Ermittlungen laufen noch. Und auf Facebook posieren junge Leute aus dem Ostkreis stolz mit Reichskriegsflaggen, Waffen und bundesweit bekannten Neonazis.
Von Gregor Haschnik
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