Corona in Hessen: Gewalt gegen Kinder nimmt zu – „Schlimmste Befürchtungen eingetreten“

Die Zahl der häuslichen Gewalt gegen Kinder ist in Hessen während der Corona-Pandemie gestiegen. Experten gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.
Frankfurt/Wiesbaden - Die Corona*-Pandemie scheint sich dem Ende zu nähern. Die Inzidenzen sind in Hessen in den vergangenen Wochen deutlich gesunken, die Zahl der Geimpften schreitet voran. Doch hinter der Fassade liegen viele Abgründe, die erst nach und nach ihren Weg in die Öffentlichkeit finden.
Durch lange Zeit geschlossene Schulen, Kitas und andere Betreuungsangebote waren viele Kinder und Jugendliche in ihren eigenen vier Wänden gefangen und von Freunden isoliert. „Es fällt niemandem auf, wenn es vielleicht einen Kinderschutzfall gibt, weil die Kinder im häuslichen Umfeld sind. Das macht es schwieriger. Wir gehen davon aus, dass sich viel im Dunkelfeld abspielt“, sagte die mittlerweile zurückgetretene Bundesfamilienministerin Franziska Giffey vor knapp einem Jahr. Sie sollte Recht behalten.
Gewalt gegen Kinder während Corona: Erschreckende Zahlen aus Bundeskriminalamt
Immer wieder wurde die Warnung von Giffey wiederholt, dass sich angespannte häusliche Situationen sich in Gewalt gegen Kinder entladen könnten. Konkrete Zahlen gab es bislang aber nicht. Nun hat das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden eine erste Statistik für das Jahr 2020 in Hessen veröffentlicht – mit erschreckenden Zahlen.
Die Zahl der Fälle von misshandelten Kindern ist im Vergleich zum Jahr 2019 um 16 Prozent gestiegen. 309 Fälle sind im Jahr 2020 vom BKA registriert worden, im Jahr davor waren es 276. Auch hat es mehr Fälle von sexueller Gewalt gegeben, die Zahl ist von 959 auf 1025 gestiegen. Bei unter Sechsjährigen sind laut BKA 45 Prozent mehr Fälle von sexualisierter Gewalt gemeldet worden. Die Zahl der getöteten Kinder verdoppelte sich von drei auf sechs.
Gewalt gegen Kinder: Dunkeziffer während Corona laut Experten deutlich höher
Umso erschreckender ist, dass die Dunkelziffer deutlich höher sein dürfte, wie viele Experten mutmaßen. Die Zahlen des BKA bilden nur die angezeigten Fälle ab. Doch auch an vielen anderen Stellen ist die Zunahme von häuslicher Gewalt gegen Kinder spürbar. So habe beispielsweise der Kinderschutzbund Hessen seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich mehr Anrufe und Hilfegesuche erhalten. Erschwert wird das Aufdecken von Gewalt gegenüber Kindern durch geschlossene Kitas, aus denen ein beträchtlicher Teil an Fällen gemeldet wird, sowie die begrenzte Möglichkeit von Hausbesuchen der Jugendämter während der Pandemie.
Notfallnummern
Kinder- und Jugendtelefon der „Nummer gegen Kummer“: 0800 1110333
Elterntelefon der „Nummer gegen Kummer“: 0800 1110550
Kinder- und Jugendtelefon: 116 111
Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 oder save-me-online.de
Generell gilt: Bei Fällen von Gewalt die Polizei unter 110 rufen.
Die Probleme würden mittlerweile auch nicht mehr nur Haushalte betreffen, die sich bereits vor Beginn der Pandemie aufgrund von Geldnöten, wenig Wohnraum oder privaten Problemen in einer angespannten Situation befunden haben, sagte Olivia Rebensburg vom Kinderschutzbund bei hessenschau.de. Auch in Familien, die keine Probleme hatten, komme es nun zu Fällen, wo Kinder Opfer von Gewalt würden.
Eine fatale Bilanz nach einem Jahr Corona zieht auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, in einem Interview mit der ARD: „Wir haben festgestellt, dass wir deutlich mehr Misshandlungen haben. Wir haben sogar mehr getötete Kinder. Das waren unsere schlimmsten Befürchtungen, und sie sind eingetreten.“ (Erik Scharf) *fnp.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
In Frankfurt ist die Gewalt gegen Frauen und Kinder* nicht gestiegen – zumindest nicht offiziell.