Der Verein Hanauer Hilfe berät Zeugen und Opfer von Straftaten

Hanau. Als die 16-jährige Jenny (Name geändert) zur Aussage in den Gerichtssaal vor das Jugendschöffengericht gerufen wird, da ist sie doch ganz schön aufgeregt. Wie gut, dass Jennifer Trollst von der Hanauer Hilfe sie begleitet und die Schülerin wie ein Schutzschild abschirmt.
Von Ulrike Pongratz
Auf der Anklagebank sitzt – relativ nah – der Exfreund und ehemalige Klassenkamerad der Geschädigten.
„Natürlich schweige ich während der Verhandlung“, erklärt Jennifer Trollst, die im Hanauer Amtsgericht das Zeugenzimmer betreut, „aber oft bedeutet es eine emotionale Stütze, wenn ich einfach da bin.“ 2010 wurde in den Gerichtsgebäuden in Hanau und 2014 in Offenbach ein Raum eingerichtet, in dem Zeugen und Opfer geschützt und sicher vor Anfeindungen warten können, bis sie aufgerufen werden: das Zeugenzimmer.
Vor- und Nachbereitung mit den Zeugen
Es ist am Amts- und Landgericht Hanau vormittags von Montag bis Freitag sowie nachmittags nach Bedarf durch eine Mitarbeiterin der Hanauer Hilfe besetzt. Zeugen und Opfer können hier in Ruhe auf die Verhandlung warten und auch im Nachgang erzählen.
„Vor allem können wir im Vorfeld die Angst mildern. Wir können den Saal zeigen, es gibt auch die Möglichkeit, sich auf den Zeugenstuhl zu setzen. Wir erklären, wie alles vor sich geht, und beantworten Fragen. 'Ist das so wie bei Barbara Salesch?',werden wir ganz oft gefragt“, sagt Trollst. Die Informationen über den Ablauf schaffen Sicherheit und wirken der Angst vor Kontrollverlust entgegen. Das sei psychologisch ganz bedeutsam, so die Sozialpädagogin der Hanauer Hilfe.
Exfreund veröffentlicht private Bilder
Schülerin Jenny hatte die Partnerschaft beendet, worauf der Exfreund private, intime Bilder verbreitete. Für die Jugendliche war dies „ganz, ganz schlimm. Das gesamte Umfeld hat sich von ihr abgewendet“, sagen Corinna Botzum und Jennifer Trollst. Gemeinsam mit ihrer Mutter kam die 16-Jährige zur Beratung in die Hanauer Hilfe.
„Die Eltern haben ihr Kind bestärkt, sich an uns zu wenden; aber dem Mädchen wurde die Entscheidung überlassen, welchen Weg es gehen wollte“, so die professionellen Beraterinnen der Hanauer Hilfe.
Cybermobbing Thema in Schulen, am Arbeitsplatz und in Vereinen
Cybermobbing ist kein eigener Straftatbestand, obwohl es unfassbare Dimensionen annehmen kann. Es gibt keinen Schutz mehr, man ist diesem Mobbing 24 Stunden am Tag ausgesetzt. Mitläufer verbreiten Bilder weiter, Beobachter bekommen es mit, stellen sich meist nicht auf die Seite des Opfers.
Auf dieser Meta-Ebene ist Cybermobbing ein Thema in Schulen, auf dem Arbeitsplatz, in Vereinen und in Nachbarschaften. Der eigentliche Straftatbestand ist der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht.
Mobbing verändert das Leben der Betroffenen
Die 16-jährige Jenny hat sich zur Anzeige entschlossen. Es ist nicht so, dass Mobbing oder Cybermobbing aufhört, wenn man ruhig bleibt und abwartet. Je schneller man handelt, umso besser. Oft entwickeln sich Ängste und Schlafstörungen, das Leben verändert sich durch Mobbing von jetzt auf gleich.
„Behaupte dich gegen Mobbing!“ Am 28. Februar ist „Pink-Shirt-Day“, der weltweit auf Mobbing aufmerksam macht. „Uns ist dieses Thema wichtig“, sagen Botzum und Trollst, „deshalb wollen wir darauf aufmerksam machen. Für Mobbingopfer ist es vor allem wichtig, dass sie sich nicht alleine gelassen werden.“ Auch dafür steht der „Pink-Shirt-Day“, an dem in Kanada 2007 zum ersten Mal tatsächlich pinkfarbene Shirts getragen wurden, um öffentlich Solidarität mit den Opfern zu zeigen und gegen Mobbing zu demonstrieren.
Opfer tragen keine Schuld an Situation
„Cybermobbing kommt zu Mobbing im realen Leben sozusagen noch obendrauf, zu den Herabsetzungen, Sachbeschädigungen, Bedrohungen, Schikanen und der verbalen Gewalt, der Mobbing-Opfer begegnen. Das alles muss man nicht aushalten, man kann etwas dagegen tun“, sagen Botzum und Trollst. Dabei muss man erkennen, dass die Opfer selbst keine Verantwortung und keine Mitschuld an der belastenden Situation tragen.
Mobbingopfer brauchen zudem Menschen, die sie unterstützen und zu ihnen stehen. „Gemeinsam können wir dann schauen, was ein guter Weg sein könnte“, sagen die Sozialpädagoginnen der Hanauer Hilfe, „aber sofort besser geht es einem nicht“. Ihre Tür in der Salzstraße 11 steht jedem offen, der Unterstützung sucht.
Mobbing endet mit der Anzeige
Auch Schülerin Jenny hat nicht bereut, sich gewehrt zu haben, im Gegenteil: „Sie war sehr stolz hinterher, dass sie diesen Schritt bis zur Anklage gegangen ist.“ Die junge Frau hat ihre Ziele erreicht: Ihr Exfreund hat sich entschuldigt und musste Schadensersatz leisten.
Letzteres war für die Jugendliche gar nicht so wichtig, sondern vielmehr, dass ihr Leidensdruck anerkannt worden ist. Auch ihre Mitschüler haben gesehen, dass eine Grenze gezogen wurde und eine Reaktion erfolgt ist. Das Mobbing hat mit der Anzeige, schon vor der Gerichtsverhandlung, aufgehört.
Hanauer Hilfe ist bundesweit einzigartig
Die Hanauer Hilfe wurde 1984 als gemeinnütziger Verein im Rahmen eines Modellprojekts des hessischen Justizministeriums gegründet. Sie ist deutschlandweit die erste professionelle Beratungsstelle für Opfer und Zeugen von Straftaten. Vereinsmitglieder sind die Stadt Hanau, der Main-Kinzig-Kreis, das Land Hessen und verschiedene soziale Einrichtungen.
Die Beratung von Opfern und Zeugen erfolgt kostenlos, vertraulich und unabhängig von einer Strafanzeige. Die Hanauer Hilfe arbeitet unabhängig von der Justiz und berät nur auf Wunsch des Betroffenen. Die Hanauer Hilfe berät Zeugen und Opfer von Straftaten, sie betreut das Zeugenzimmer und vermittelt im Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht. Eine Beratung und Unterstützung der Opfer von Straftaten kann auch online und anonym erfolgen.
Die
Hanauer Hilfe
, Salzstraße 11, ist zu erreichen unter Telefon 0 61 81/2 48 71 oder per E-Mail an die Adresse kontakt@hanauer-hilfe.de.