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Urteil im Kindermordprozess in Hanau: Vater zu lebenslanger Haft verurteilt

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Von: Yvonne Backhaus-Arnold

Die Kameras sind ein letztes Mal auf ihn gerichtet: Der 48-jährige Angeklagte, der sein Gesicht verbirgt, wurde gestern vom Landgericht Hanau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Die Kameras sind ein letztes Mal auf ihn gerichtet: Der 48-jährige Angeklagte, der sein Gesicht verbirgt, wurde gestern vom Landgericht Hanau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. © Patrick Scheiber

In Hanau wird ein 48-Jähriger für den Mord an seinen Kindern verurteilt. Vor Gericht entstehen emotionale Szenen.

Hanau - Die beiden Frauen im Saal vergessen für einen Moment die vielen Zuschauer, die Pressevertreter, das Gericht. Friederike Vilmar lässt sich von der Mutter in die Arme schließen. „Thank you“, sagt die unter Tränen und auch ihre Anwältin weint – nicht aus Trauer, sondern vor Erleichterung.

Wenige Sekunden zuvor hatte der Vorsitzende Richter Dr. Mirko Schulte das Urteil im Prozess um den gewaltsamen Tod von zwei Kindern im Mai 2022 verkündet. Der Vater wurde vom Landgericht Hanau zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht befand den 48-Jährigen für schuldig, seine siebenjährige Tochter und seinen elf Jahre alten Sohn ermordet zu haben. Zudem stellte es die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist in der Regel eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen.

Bundesweite Bestürzung nach Tat in Hanau

Zwei Stunden dauerte am Freitag die Urteilsbegründung, die kaum einen Zuhörer im Gerichtssaal kalt ließ. Schulte erzählte die Geschichte von zwei Kindern, einem Jungen, der Polizist werden wollte und dessen Namen ins Deutsche übersetzt „Paradies“ und „Mut“ bedeutet, und seiner kleinen Schwester. „Ihre letzten Fotos stammen nicht von Facebook, sondern von einem Tatort und aus der Gerichtsmedizin“, so Schulte.

Die Tat im Hochhaus an der Römerstraße hatte nicht nur in Hanau, sondern bundesweit für Bestürzung gesorgt. Der Inder habe seine Frau, die sich von ihm getrennt hatte, bestrafen wollen. „Noch nie“, wird die Rechtsanwältin später in die Kameras sagen, „habe ich eine so starke Frau wie sie erlebt.“ Die 38-Jährige trat in dem Prozess als Nebenklägerin auf.

Ermittlungen zufolge hatte der heute 48-Jährige am 11. Mai vergangenen Jahres morgens darauf gewartet, dass seine Frau die Wohnung verließ, und dann mehr als eine Stunde lang vor der Tür gelauert, bis die Kinder diese öffneten, um zur Schule zu gehen. Minutiös zeichnet Schulte die Stunden vor der Tat nach, zeigt damit, wie kaltblütig der Mann vorging.

Kindermord Prozess in Hanau endet: erschütternde Bilder vor Gericht

Zwei Tage zuvor hatte er den Sohn ausgehorcht über den Beginn der Schule und die morgendlichen Rituale. Am Tag vor der Tat hatte er einen Arbeitskollegen gebeten, ein einzelnes Zugticket von Frankfurt nach Aachen zu buchen – um 8 Uhr am 11. Mai. Er überlegte es sich dann doch anders, buchte eben jenes Ticket nach der Tat im Kundencenter der Bahn am Frankfurter Hauptbahnhof.

Was sich zuvor in der Wohnung zugetragen hatte, davon zeugen DNA- und Blutspuren. So hatte der Mann den wehrlosen Kindern aufgelauert, sie in die Wohnung gedrängt, die Tochter auf das Bett gedrückt und ihr – vermutlich mit einem Messer – nach einem Fehlschnitt zwei weitere Male tief in den Hals geschnitten. Der Sohn, daran ließ das Gericht in seiner Urteilsbegründung keinen Zweifel, habe gesehen, was der Vater der kleinen Schwester angetan habe und sah – als einzigen und letzten Ausweg – den Sprung vom Balkon. Beim Sturz aus dem neunten Stock wurde er so schwer verletzt, dass er wenig später im Krankenhaus starb.

Gericht stimmt Antrag der Anklage zu -Verteidigung nicht plausibel

Ohne nach dem Jungen zu sehen, Hilfe zu holen, flieht der Mann, steigt in ein Taxi, dann in den Zug ach Aachen. Am 14. Mai wird er in einem Sikh-Tempel in der Nähe von Paris festgenommen, am 7. Juli nach Deutschland überführt. Bei seiner Festnahme gibt er an, dass auch die Mutter als Tatverdächtige in Frage komme. Das perfide Spiel fliegt schnell auf, denn die Mutter war am Morgen zur Arbeit gegangen – beobachtet von dem späteren Täter, der ihr in sicherer Entfernung folgte, sah, wie sie in den Bus stieg, und dann zum Haus zurückgekehrte.

Das Gericht schloss sich mit dem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft an. Der Verteidiger des Mannes hatte in seinem Plädoyer keinen konkreten Antrag gestellt, aber darauf hingewiesen, dass die genauen Vorgänge in der Wohnung am Tattag nicht aufgeklärt worden seien. Es sei unklar, was den Sohn zu dem Sprung aus dem Fenster veranlasst habe. Unklar sei zudem, ob sein Mandant nicht mit dem Vorhaben zur Wohnung kam, zumindest zu versuchen, die Kinder nach Indien zu bringen. Für das Gericht sind all diese Punkte nicht plausibel.

Gerechtes Urteil in Hanau, findet Anwältin

„Nach unserer Auffassung“, so Schulte Richtung Anklagebank, „haben Sie die Tat akribisch vorbereitet und nichts dem Zufall überlassen.“ Er habe die Kinder als Spielball benutzt, um Macht auszuüben, seine Ehre – auch gegenüber der Familie in Indien – zurückzugewinnen und das selbstbestimmte Leben der Mutter seiner Kinder zu zerstören. Schulte sprach von einer „egoistischen Weltsicht“. „Das Töten von zwei Kindern ist auch in Ihrem Heimatland nicht erlaubt, sondern geächtet.“

Sie freue sich über das Urteil, es sei gerecht, so die Anwältin Friederike Vilmar. In 23 Jahren sei es einer der Fälle gewesen, der sie persönlich am heftigsten bewegt habe. Auch Staatsanwalt Dr. Oliver Piechaczek haben die zurückliegenden Monate nicht kalt gelassen. „Das war mein bisher schwierigster Fall.“

Ob die Verteidigung Revision einlegt, soll im Lauf der nächsten Woche entschieden werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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