Anschlag von Hanau: Drei Jahre Erinnern, Trauern und Aufklären

In Hanau ermordet ein Rechtsextremist vor drei Jahren neun junge Menschen. Vor dem Jahrestag sind noch immer Fragen zur Tat offen.
Hanau - Das Morden begann um 21.50 Uhr. Am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt, dann am Kurt-Schumacher- Platz im Stadtteil Kesselstadt. Es dauerte keine Viertelstunde, dann waren neun junge Menschen mit Migrationshintergrund tot. Erschossen von einem 43 Jahre alten rechtsextremen Rassisten. Der Anschlag von Hanau, der die Stadt erschüttert und bundesweit für Entsetzen gesorgt hat, jährt sich morgen zum dritten Mal. „Vom schrecklichsten Tag in Friedenszeiten in der Geschichte der Stadt“ spricht Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky.
Hanau: Aufarbeitung des Anschlags keineswegs beendet
An den beiden Tatorten stehen seit dem Verbrechen Blumen, Kerzen, sind Porträts der Ermordeten angebracht. Ebenso neben den Ehrengräbern der Ermordeten auf dem Hauptfriedhof. Die Aufarbeitung des Anschlags ist drei Jahre nach der Tat keineswegs beendet, auch wenn der Generalbundesanwalt 2021 die Ermittlungen beendet hat. Demnach litt der Täter unter paranoider Schizophrenie, die er gut habe verbergen können. Als Mitglied eines Schützenvereins besaß er legal zwei Schusswaffen.
Den Anschlag habe er aus rassistischen Motiven begangen. Dies sei in einem Video zu erkennen, das er erst kurz vor der Tat ins Internet gestellt habe. Die Staatsanwaltschaft Hanau befand, dass die Polizei korrekt gehandelt habe. Doch Angehörige der Opfer und Unterstützer geben sich damit nicht zufrieden. „Das Geschehen ist bis heute nicht aufgeklärt“, erklärt Armin Kurtovic, Vater eines der Anschlagsopfer.
Ungereimtheiten gab und gibt es etwa in der Frage, warum der Notausgang in der Arena-Bar, einem der Tatorte, verschlossen war. Oder warum der Täter eine Waffenerlaubnis hatte, obwohl er bei verschiedenen Behörden mit verschwörungsideologischen Anzeigen aufgefallen war? Außerdem kamen Notrufe von Vili Viorel Paun, der später vom Täter erschossen wurde, am Tatabend nicht durch, obwohl die technischen Defizite bei der Telefonanlage offenbar bekannt waren.
Anschlag von Hanau: Untersuchungsausschuss befasst sich mit Tat
Mit möglichem Behördenversagen befasst sich seit 2021 ein Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags. Der damalige Landtags- und heutige Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hatte damals erklärt: „Die furchtbaren Morde von Hanau haben uns alle tief erschüttert. Die parlamentarische Aufarbeitung ist deshalb sehr wichtig.“
Für seine Arbeit hat der Ausschuss seitdem von 14 Behörden 369 Aktenordner mit 175000 Blatt Papier erhalten und gesichtet. „Dies entspricht aneinandergelegt rund 51 Kilometern und damit ungefähr der Luftlinie von Wiesbaden nach Hanau“, berichtete der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD). Hinzu kommen sieben DVDs mit 160 Gigabyte Daten, davon 68 Gigabyte Videodateien, ein Gigabyte Audiodateien und 14 Gigabyte Bilddateien. Die Opferangehörigen aber auch viele Beobachter kritisieren immer wieder das politische Taktieren im Ausschuss. Bereits zum zweiten Jahrestag des Anschlags in Hanau hatte der Vorsitzende des Ausschusses die Erwartungen gedämpft. „Wir können nicht alles aufklären“, sagte Marius Weiß damals. Zugleich erklärte er, man werde alles tun, „was möglich ist“.
Ab März – die nächste öffentliche Sitzung findet am 6. März statt – wird es mindestens noch drei weitere Sitzungen, unter anderem zum Thema Waffenbehörde, geben. Am letzten Termin ist Innenminister Peter Beuth (CDU) geladen. Bis zur Sommerpause soll die Arbeit des Ausschusses abgeschlossen sein. Derweil sorgt auch der Vater des Attentäters in Hanau für Schlagzeilen. Er verbreitete verquaste Verschwörungstheorien zum Anschlag seines Sohnes, forderte gar die Tatwaffen zurück, bedrängte Angehörige der Opfer und trat beleidigend auf. „Ich fühle mich bedroht“, sagt Serpil Temiz Unvar, deren Sohn bei dem Anschlag getötet wurde. In 27 Fällen gab oder gibt es Ermittlungen gegen der Attentäter-Vater.
Hanau: Vater von Attentäter zu Geldstrafe verurteilt
Im vorigen September wurde der 75-Jährige wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 4800 Euro verurteilt. Unter anderem hatte der Mann in einer Strafanzeige Menschen, die an einer Demonstration in der Nähe seines Wohnhauses teilgenommen hatten – darunter auch Angehörige der Anschlagsopfer – als „wilde Fremde“ bezeichnet. Zum dritten Jahrestag des Anschlags wird am Sonntag auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in der Stadt erwartet. Zu einer Gedenkstunde auf dem Hanauer Marktplatz (11.30 Uhr) haben Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) eingeladen. Auch Angehörige der Opfer und Vertreter aus Politik, Religion, Wirtschaft und Gesellschaft wollen bei der Veranstaltung dabei sein.
Zuvor gedenken Faeser, Rhein und Kaminsky im Namen der Bundesrepublik Deutschland, des Landes Hessen und der Stadt Hanau im Stillen auch auf dem Hanauer Hauptfriedhof. Für jedes Opfer werde dort ein Blumengesteck niedergelegt, heißt es, ebenso auf Friedhöfen, auf denen die anderen Opfer beerdigt sind: in Dietzenbach, Offenbach sowie in der Türkei, in Rumänien und in Bulgarien.
Die Initiative 19. Februar Hanau, die Bildungsinitiative Ferhat Unvar, Angehörige der Ermordeten sowie Jugendverbände rufen zu einer Kundgebung um 16 Uhr mit anschließendem Protestzug gegen Rassismus auf. Ab 21.30 Uhr, kurz vor der Tatzeit, entzündet die Initiative 19. Februar Hanau ein Lichtermeer an den Tatorten. Damals starben Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Der 19. Februar werde immer dem Gedenken an diese Opfer gewidmet sein, sagt Ministerpräsident Rhein. (Christian Spindler und Yvonne Backhaus-Arnold)