Interview: Warum sind die Deutschen Komplimente-Muffel?

Hanau. Die Deutschen sind wahre Komplimente-Muffel. Doch warum ist das so? Und wer hat mit dem Loben die meisten Probleme? Das beantwortet Hanauerin Diplom-Soziologin Antje Biehler-Eckardt im Interview (mit Video).
Von Kathrin Wollenschläger
Dem Gegenüber einfach mal zu sagen, dass ihm die neue Latzhose steht, dass er ein guter Zuhörer oder gar witzig ist, fällt vielen Menschen schwer. Dabei sind Komplimente etwas Schönes.Sie wirken „wie ein warmer Sonnenstrahl“, sagt die Hanauerin Diplom-Soziologin und systemische Therapeutin Antje Biehler-Eckardt. Übrigens sowohl für den Empfänger wie für den Absender. Alle streben nach Lob, knausern aber selbst damit, als wäre der Vorrat begrenzt. Vielleicht auch ein wenig aus Unsicherheit? Die Kunst der Komplimente will immerhin gelernt sein.
Komplimente sollten ehrlich sein. Sie sollten eine „Balance zwischen Aufrichtigkeit und Höflichkeit“ halten, wie Biehler-Eckardt sagt. Nicht anbiedernd sein. Oder banal. Und keineswegs sollte ein Kompliment mit einem Lob vertauscht werden. Dann kann es zwischenmenschliche Beziehungen nachweislich positiv beeinflussen.Warum fällt es dennoch schwer, Komplimente zu machen? Oder gar anzunehmen? Warum fühlt es sich nicht nur gut an, Komplimente zu erhalten, sondern auch zu verteilen? Und wem fällt das verbale Wertschätzen eigentlich schwerer: Männern oder Frauen? Über all diese Fragen hat sich unsere Zeitung mit Biehler-‧Eckardt anlässlich des heutigen Tages des Kompliments ausgetauscht.
Frau Biehler-Eckardt, sind Komplimente wichtig?Ja, Komplimente sind wichtig. Sie sind Ausdruck wohlwollender Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Damit entsprechen sie einem Grundbedürfnis nach positiver Spiegelung. Die Botschaft ist: Du wirst gesehen und geschätzt. Das tut gut, weckt eine positive Grundhaltung und wirkt manchmal wie ein warmer Sonnenstrahl. Man kann übrigens zwischen Kompliment und Lob unterscheiden: Ersteres richtet sich an die Person, Letzteres soll motivieren, bezieht sich also stärker auf eine Leistung. Komplimente sind eine positive Botschaft, sie signalisieren Interesse und Sympathie. Für den Empfänger heißt dies: Das Gegenüber nimmt mich wohlwollend wahr. Für den Sender, dass er auf positive Aspekte seines Gegenübers fokussiert und diesem eine Freude machen kann. Das ist an sich schon ein Gewinn.
Das heißt, dass selbst der Komplimente-Macher etwas Positives daraus zieht?Ja, denn wenn ich ein Auge für die Stärken beziehungsweise positiven Seiten meines Gegenübers habe, steigt die Chance, dass ich vom Austausch mit ihm profitiere. Abwertung und Ignoranz machen die Welt zu einem tristen Ort: Da kann nichts Gutes zurückkommen, nach dem Motto: „What goes around comes around.“ Außerdem gibt es kaum eine schönere Erfahrung als die, jemandem eine Freude zu machen: Dann erlebe ich mich als Gebenden, das erhöht den Selbstwert.
Warum fällt es vielen Menschen so schwer, Komplimente zu machen – im Gegensatz dazu, Kritik zu äußern?Wir werden von klein auf trainiert, den Fokus auf Fehler und Probleme zu legen: Kritisches Betrachten ist mit Intellekt assoziiert, positives Denken mitunter mit Naivität, Manipulation oder Realitätsferne. Die Fähigkeit, Positives an anderen wahrzunehmen und zu formulieren, ohne dies mit einer Abwertung der eigenen Person zu verbinden, setzt ein Gefühl des eigenen Wertes, also Selbstbewusstsein, und natürlich Mut voraus. Denn es kann mir ja auch passieren, dass meine Motivation falsch verstanden wird. Dann wird es vielleicht peinlich.
Zugleich ist es manchmal auch nicht so einfach, ein Kompliment anzunehmen. Warum?Ich denke, da gibt es ganz verschiedene Faktoren. Manchmal kann man ja eine geradezu reflexhafte Abwehr von Komplimenten beobachten. Motive hierfür könnten in der persönlichen Geschichte des Einzelnen und im sozialen Kontext liegen. Wer ein Kompliment bekommt, fühlt sich möglicherweise exponiert, manchmal ist so viel Aufmerksamkeit peinlich, vielleicht fürchtet man, Neider auf den Plan zu rufen, und eventuell ist da auch der Verdacht, manipuliert zu werden, sodass die Frage auftaucht: Was will der andere damit erreichen? Und weil das ein recht komplexes Gemisch ist, empfehle ich, ganz einfach „Danke!“ zu sagen. Mehr braucht es nicht.
Wem fällt es schwerer, Komplimente zu machen: Männern oder Frauen?Ich glaube, am schwersten ist es für Männer, anderen Männern Komplimente zu machen. Männer bekommen generell weniger Komplimente. Wenn eine Frau von ihrer Kollegin gesagt bekommt, dass ihr die neue Bluse gut steht, dann tut das einfach gut und hebt die Stimmung. Für einen Mann ist solche Unterstützung rar. Ganz allgemein ist das Komplimente-Machen manchmal schwierig, weil wir unsicher sind, wie wir ankommen und ob das angemessen ist.
Worauf kommt es bei einem guten Kompliment denn an?Ich denke, es geht um die richtige Balance zwischen Aufrichtigkeit und Höflichkeit. Authentisch wirken Komplimente, die ich spontan mache und die auf einer konkreten Wahrnehmung oder Regung beruhen. Für Komplimente wie Lob gilt: Es ist wichtig, dass mein Gegenüber sich in seinen Stärken gesehen fühlt. Deshalb sollte ich allzu banale oder allgemeine Aussagen meiden und auch nicht zu sehr übertreiben: „Du bist die schönste Frau der Welt “ ist super, aber vielleicht wirkt es persönlicher zu sagen: „Ich mag deine Haare“ oder „Du bist ein guter Zuhörer“.
Sollte man regelmäßig Komplimente verteilen?Ich finde schon, denn positives Feedback zu geben ist eine Fähigkeit, die man gerne üben darf. Je näher man einer Person steht, desto mehr sollte es sein. Und zu Trainingszwecken: Üben Sie, positives Feedback zu geben, gerne auch an Menschen, die Ihnen nicht so nahestehen.
Sie sind als Paartherapeutin tätig. Können Komplimente helfen, Beziehungen zu kitten?Ja, denn Beziehungskrisen und Konflikte entstehen oft, weil ein Partner sich nicht gesehen und geschätzt fühlt – oder beide. Es ist völlig normal in einer Beziehung, Selbstbestätigung zu suchen. Wer sagt denn, dass nur kritische Bemerkungen das persönliche Wachstum fördern? Außerdem schaffen erst Wertschätzung und positives Feedback die Basis für Veränderung. Ein Mensch, der sich kritisiert, missverstanden, gar angegriffen fühlt, ist nicht offen für die Anliegen seines Gegenübers, er geht in Verteidigungsposition.
Gibt es Studien, die die positive Auswirkung von Komplimenten auf Beziehungen untermauern?Ja natürlich, eine ganz bekannte stammt von John Gottman, einem US-Paarforscher. Er forschte zu der Frage: Was unterscheidet stabile von instabilen Partnerschaften? Ein Ergebnis ist die „Gottman-Konstante“, die besagt, dass das optimale Verhältnis zwischen positiven und negativen Interaktionen in einer Partnerschaft 5:1 beträgt. Auf fünf positive Aussagen oder Gesten sollte nur eine negative kommen – so zumindest ist es in gut funktionierenden Partnerschaften. Mit Lob, Anerkennung und Komplimenten kann man es in Paarbeziehungen übrigens kaum übertreiben: Sie sind das emotionale Kleingeld im Austausch der Partner. Wenn beide mit leeren Taschen dastehen, wird es schwierig. Ganz wichtig dabei ist: Komplimente und Lob sollten in Beziehungen nicht manipulativ eingesetzt werden.
Ist ein ernst gemeintes Kompliment manchmal besser als ein Geschenk?Wenn es sehr persönlich ist und von Herzen kommt, manchmal ja. Aber ich würde jetzt nicht empfehlen, unterm Weihnachtsbaum oder zum Geburtstag nur noch nette Worte anzubieten.