Hanauer Verein „Institut für Toleranz und Zivilcourage – 19. Februar“ bezieht seine Räume

Um Projekte gegen Rassismus ins Rollen zu bringen wurde nach den Terroranschlägen in Hanau der Verein „Institut für Toleranz und Zivilcourage – 19. Februar“ gegründet. Dieser hat nun seine Räumlichkeiten bezogen.
Hanau – Das Malervlies liegt noch vor der Wand, die Farbrollen mit Abstreifgitter darauf, und es riecht noch immer frisch gestrichen. Im Haus des Handwerks hat der Verein „Institut für Toleranz und Zivilcourage – 19. Februar“ seine Räumlichkeiten bezogen. Von hier aus will der Verein mit Anti-Rassismus-Projekten künftig über die Stadtgrenzen hinaus Impulse geben.

Den Verein hatten sieben Mitglieder des Ausländerbeirats, darunter die Beiratsvorsitzende Selma Yilmaz-Ilkhan, ihr Mann Ferdi Ilkhan und Ajdin Talic, im März zusammen mit Opfer-Angehörigen und Augenzeugen des Terroranschlags vom 19. Februar gegründet. „Wir kannten alle Familien durch unsere Arbeit, aber auch privat vorher schon gut“, sagt Ferdi Ilkhan. Daher waren sie schnell involviert, haben Beziehungspatenschaften zu den Familien übernommen, Talic für die Familie des getöteten Hamza Kurtovic, die Ilkhans für die Familie von Gökhan Gültekin.
Mitglieder des Instituts haben versucht auf die Angehörigen der Terroropfer in Hanau einzugehen

Sie waren ganz nah dran an den Sorgen, der Trauer und den Bedürfnissen der Angehörigen, haben getröstet, bei der Organisation der Totengebete, Beerdigungen und Trauerfeiern übersetzt und vermittelt. Rund 30 Betroffene, Familienmitglieder der Opfer, Verletzte und Augenzeugen, gehören zum erweiterten Vorstand des Vereins, die mitbestimmen und eine Richtung vorgeben können. Mitglied werden kann allerdings jeder, der möchte. „Wir haben schon viele Anfragen“, sagt Yilmaz-Ilkhan. „Wir haben allerdings erst vor einer Woche ein Konto für den Verein eröffnet und wollten, bevor wir die Räumlichkeiten noch nicht zur Verfügung hatten, aktiv noch keine Mitglieder werben.“
Nun hat der Verein von der Stadt im Haus des Handwerks zwei Räume im Erdgeschoss bekommen, in denen die Mitglieder zusammenkommen und ihre Arbeit aufnehmen können. Außerdem können sie einen Konferenzraum im Obergeschoss nutzen. Die Möbel fehlen noch, die Wände sind noch kahl. Bunte Porträtbilder sollen hier bald die mahnende Erinnerung an die neun Opfer der rassistisch motivierten Tat wachhalten. Mit diesen Bildern will der Verein eine Wanderausstellung konzipieren, die an öffentlichen Orten in der Stadt und darüber hinaus mit pädagogischen Konzepten wahrgenommen wird. „Diese neun Menschen dürfen niemals vergessen werden“, sagt Ilkhan. „So etwas darf nie wieder passieren.“
Trauerbewältigung steht zurzeit bei dem Verein aus Hanau noch im Vordergrund
„Momentan steht natürlich noch die Trauerbewältigung im Vordergrund, ebenso wie die Planung der monatlichen Gedenkveranstaltungen, in Zukunft wollen wir aber auch einen wissenschaftlichen Beitrag leisten und Empfehlungen in die Politik geben“, sagt Yilmaz-Ilkhan. „Fakt ist, dass wir als Stadt Hanau über viele Jahre Anti-Rassismus-Projekte nicht ernst genommen haben. Mit dem 19. Februar ist es bittere Realität geworden, dass man da genauer hinschauen muss.“ Der Rassismus sei für die Mitglieder des Ausländerbeirats, aber auch für die Menschen, die sich an sie wenden, längst im Alltag spürbar, meist als latente, kaum merkliche Form, aber auch manchmal als persönlicher Angriff. So sei ihr beispielsweise schon auf dem Weihnachtsmarkt das Kopftuch von einem Fremden abgezogen und sie aufgrund ihres Glaubens beleidigt worden.

Das Video gibt’s in der ZDF-Mediathek
Die Sendung von Dunja Hayali „Fünf Monate nach dem Anschlag von Hanau“ wurde am 21. Juli im ZDF ausgestrahlt und ist über die Mediathek aufrufbar.
Daher sei es wichtig, das Problem offen anzusprechen, schon in Schulen aufzuarbeiten und dem Rassismus aktiv entgegenzuwirken. „Alltagsrassismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt Yilmaz-Ilkhan. „Da ist es nicht nur Aufgabe von Menschen mit Migrationsgeschichte, unser freiheitliches Demokratieverständnis zu verteidigen.“ Dazu gehöre beispielsweise eine interkulturelle Öffnung von Behörden. „Damit sich die gesellschaftliche Vielfalt auch auf der Entscheidungsebene widerspiegelt“, so Yilmaz-Ilkhan. Auch die Debatte um rechtsradikale Gruppierungen innerhalb der Polizei zeige, dass sich dort strukturell etwas ändern müsse.

Denn nach dem Anschlag sei auch die Angst geblieben. „Viele Menschen haben sich erstmal nicht mehr aus ihren Wohnungen getraut“, sagt Ajdin Talic. „Weil sie sich nicht mehr sicher gefühlt haben.“ Seinen Kindern habe er immer erzählt, wir können auf die Polizei vertrauen. „Und dann hört man so etwas.“ Die lückenlose Aufklärung, wo welche Behörde versagt haben könnte, sei nicht nur den Angehörigen daher ein wichtiges Bedürfnis.
Bei der Renovierung hatten die Mitglieder einen besonderen Gast: die Fernsehmoderatorin Dunja Hayali. Gemeinsam mit den Angehörigen der Opfer hat sie die Wände gestrichen – im weißen Overall aus dem Baumarkt. Dabei kamen sie miteinander ins Gespräch. „Es gibt keine neun Opfer, sondern 900 mit Angehörigen“, sagt Emis Gürbüz, die Mutter des verstorbenen Sedat Gürbüz mit Tränen in den Augen in die Kamera des Fernsehteams. „Wir sind alle mit ihnen gestorben.“ Der Schmerz sitzt noch immer tief, auch fünf Monate nach dem Anschlag bleiben viele Fragen unbeantwortet.
Opferangehörige wirken mit
Im Zuge des Terroranschlags am 19. Februar hat sich parallel zum Verein „Institut für Toleranz und Zivilcourage – 19. Februar“ eine Initiative gegründet, die sich gegen Rassismus stark macht, Demonstrationen organisiert und einen Gedenk- und Begegnungsraum am Heumarkt, einem der beiden Tatorte, geschaffen hat. Dieser soll als Anlaufstelle für Augenzeugen und die Angehörigen der Opfer dienen, die im Gespräch mit ehrenamtlichen Sozialarbeitern und Traumatherapeuten sowohl die Trauer als auch die Ereignisse aufarbeiten können. Aber auch die Stadtgesellschaft soll an dieser Stelle zusammenkommen, um der Opfer zu gedenken, Solidarität zu zeigen und sich gegen Rassismus einzusetzen. Dabei unterscheiden sich die Initiative 19. Februar Hanau und das Institut für Toleranz und Zivilcourage voneinander: „Zunächst ist die Rechtsform eine andere“, erklärt Selma Yilmaz-Ilkhan vom Vorstand des Instituts für Toleranz und Zivilcourage. „Wir sind ein eingetragener Verein, während die Initiative, wie der Name schon sagt, eher ein aktivistischer Zusammenschluss verschiedener Menschen ist.“ Auch die Zielsetzung sei eine andere. „Die Initiative leistet eine wichtige Arbeit und wir ergänzen uns in vielen Dingen“, so Yilmaz-Ilkhan. „Wir vom Institut sind jedoch stark bemüht, zusammen mit der Politik Anti-Rassismus-Projekte anstoßen und dafür auch öffentliche Mittel anzuwerben, da hat die Initiative eine andere Schwerpunktsetzung.“ jj