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Messerangriff und Haftbefehl wegen Mord: Was wir nach dem Tod der 14-Jährigen wissen - und was nicht

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Von: Kathrin Reikowski

Nach Angriff auf zwei Mädchen
Eine Frau zündet am Tatort eines Messerangriffs eine Kerze an. Am Tag zuvor sind zwei Mädchen von einem Mann angegriffen worden, eine 14-Jährige erlag ihren schweren Verletzungen. © Bernd Weißbrod/dpa

Am Montag wurden zwei Mädchen auf dem Schulweg mit einem Messer angegriffen. Eine 14-Jährige verstarb danach im Krankenhaus. Gegen den Täter wurde Haftbefehl erlassen.

Illerkirchberg (Ulm) - Am Montag sind in Illerkirchberg bei Ulm (Baden-Württemberg) zwei Mädchen auf dem Schulweg von einem Mann angegriffen worden. Ein 14-jähriges Mädchen starb mittags im Krankenhaus, die 13-jährige Begleiterin überlebte mit schweren Verletzungen und ist außer Lebensgefahr. Der Mann konnte von der Polizei festgenommen werden. Weil er in einer Unterkunft für Geflüchtete lebte, wird die Tat zum Politikum.

Die Polizei appellierte in ihrer Mitteilung nach der Tat, „keinen Generalverdacht gegen Fremde, Schutzsuchende oder Asylbewerber allgemein zu hegen oder solchem Verdacht Vorschub oder Unterstützung zu leisten“. Ihr sei bewusst, „dass Ereignisse dieser Art Ängste und Emotionen schüren“. Was über die Tat und ihre Hintergründe bekannt ist - und was nicht.

Der tödliche Messerangriff in Illerkirchberg hat mehrere Dimensionen:

Messerangriff in Illerkirchberg: Was wir zum Tathergang wissen - und was nicht

Zunächst: Zum Tathergang haben Polizei und Staatsanwaltschaft bisher nur veröffentlicht, dass ein Mann am Montag zwei Mädchen auf dem Schulweg angegriffen und schwer verletzt hat. Eines der Opfer, ein 14-jähriges Mädchen, musste noch am Tatort wiederbelebt werden, bevor sie in eine Klinik gebracht wurde. Dort starb sie Stunden später. Mehr ist noch nicht bekannt.

Eine Obduktion der Leiche ergab, dass das Mädchen in Folge von Stichverletzungen verblutet ist. Gegenüber dem SWR sprach ein Augenzeuge von lauten Geräuschen an einer Ampel, und dass er mit der Begleiterin der 14-Jährigen habe sprechen können. Die 13-Jährige kam danach schwer verletzt in ein Krankenhaus. Immer wieder ist von einem Messerangriff die Rede, offiziell bestätigt ist auch das nicht.

Danach soll der mutmaßliche Täter in eine Geflüchtetenunterkunft gelaufen sein, wo er – gemeinsam mit zwei anderen Männern – festgenommen wurde. Die beiden anderen Männer sind wieder auf freiem Fuß. Der mutmaßliche Täter kam mit ebenfalls schweren Stichverletzungen ins Krankenhaus, wo er unter Polizeibewachung operiert wurde. Am Morgen machte er von seinem Recht zu schweigen Gebrauch und äußerte sich nicht zur Tat.

Zu allen weiteren Details des Tathergangs hat die Polizei noch keine Erkenntnisse veröffentlicht. Es ist etwa nicht bekannt, ob sich der Mann und die beiden Opfer kannten. Laut baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU) gibt es keine Hinweise, dass der Mann aus religiösen Motiven gehandelt haben könnte.

Messerangriff: Was über die 13- und 14-jährigen Opfer bekannt ist

Das getötete Mädchen soll 14 Jahre alt gewesen sein und gemeinsam mit ihrer Begleiterin auf dem Schulweg. Die alevitische Gemeinde Ulm veröffentlicht auf ihrer Facebook-Seite Worte des Beileids an die Familie und gab bekannt, eine Trauerfeier ausrichten zu wollen. Das Mädchen soll Deutsche gewesen sein, ihre Familie stammte aber offenbar aus der Türkei und ist Mitglied der Gemeinde.

Das zweite angegriffene Mädchen habe nach Informationen eines Polizeisprechers die Nacht im Krankenhaus verbracht und sei medizinisch soweit versorgt. Die 13-Jährige sei so schwer verletzt worden, dass in ihrem Fall gegebenenfalls auch der Verdacht des versuchten Mordes im Raum stehe. Ihre psychische Verfassung sei schwierig, weil sie vom Tod ihrer Freundin erfahren habe.

Hinweis: Wir haben uns aus Pietätsgründen bewusst entschieden, die Namen der beiden Mädchen nicht zu veröffentlichen.

Messerangriff in Baden-Württemberg: Das ist über den Täter bekannt - und das nicht

Bekannt ist, dass der mutmaßliche Täter 27 Jahre alt ist und aus dem Bürgerkriegsland Eritrea stammt. Er soll sich schon mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten haben, legal hier gewohnt haben. Er ist bisher nicht durch Gewaltdelikte aufgefallen.

Außerdem ist weiterhin nicht klar, ob er die beiden Opfer kannte oder ob er psychisch krank war. Zu diesen Punkten laufen Ermittlungen, beziehungsweise werden Gutachten erstellt.

Nach dem Messerangriff - welche Konsequenzen dem Täter drohen

Bisher gibt es laut Ermittlern keine gesicherten Erkenntnisse über die Motive der Tat und die psychische Verfassung des Täters. Letztere muss zunächst mit einem Kurzgutachten geklärt werden. Am Dienstagabend hat die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl wegen Mordes gegen den Mann erlassen und ihn in das Krankenhaus einer Justizvollzugsanstalt verlegen lassen.

Auch für die Verletzungen des zweiten Opfers kommt eventuell eine Anklage wegen versuchten Mordes infrage. Auf Mord und Mordversuch stehen in Deutschland eine lebenslange Freiheitsstrafe, die in bestimmten Fällen auf drei bis 15 Jahre gekürzt werden kann. Sollte nachgewiesen werden, dass der Mann schuldunfähig ist, müsste er in die Psychiatrie.

Psychsiche Erkrankung? Migrationsforscher warnt - „bleibt an Freunden und Diaspora-Kirchen hängen“

Dr. Magnus Treiber forscht zu Migration und Diaspora und hielt sich bereits mehrmals für längere Forschungsaufenthalte in Eritrea auf. „Der tödliche Angriff auf zwei Mädchen auf dem Schulweg muss uns alle erschrecken“, sagt er gegenüber Merkur.de. Er warnt: „Die Gewalttat mag Ausdruck einer schweren psychischen Erkrankung sein - und dafür dürfen nun natürlich nicht sämtliche Menschen verantwortlich gemacht werden, die mit dem mutmaßlichen Täter Herkunftsland, Hautfarbe oder Aufenthaltsstatus teilen.“ Nach dem Bekanntwerden des Haftbefehls wegen Mordes deutet allerdings weniger auf eine psychische Erkrankung des Mannes hin.

Nach Treibers Forschungsaufenthalten in der Region ist für ihn klar: „Das Aufwachsen in Kriegsgesellschaften - etwa am Horn von Afrika - ist von Gewalt und Leid geprägt, mitunter sind Menschen Täter und Opfer zugleich. Auf keinen Fall kann man sich vermittelten oder leiblichen Gewalterfahrungen dort vollkommen entziehen - und diese setzen sich nach erfolgreicher Desertion und Flucht oft beim Weg durch die Wüste und über das Mittelmeer fort.“

Im neuen Land alles hinter sich zu lassen, sei meist nicht möglich: „Schließlich erlaubt die Sorge und Verantwortung gegenüber Daheimgebliebenen vielen auch nach erfolgreicher Ankunft keinen einfachen Neuanfang.“ Im Falle psychischer Erkrankungen sei es besonders schwierig, Menschen zu helfen: „Es ist aber auch so, dass Menschen, die mit Gewalterfahrungen aus Diktaturen und Kriegsgebieten nach Deutschland kommen, hier nicht einfach Hilfe bekommen. Es fehlt ausreichend Fachpersonal, um Anfälligkeiten, Bedarfe und Erkrankungen zu erkennen, Therapieplätze sind rar, Verwaltungsprozesse lang“, sagt Treiber. „Es bleibt oft Freunden, Familienangehörigen und Diaspora-Kirchen überlassen, sich um Neuankömmlinge zu kümmern..“

Messerangriff - die politische Dimension der Ermordung einer jungen Frau in Illerkirchberg

Bevor die Polizei diese Information veröffentlichte, war nach Recherche einiger Medien bekannt, dass der mutmaßliche Täter in eine Unterkunft für Geflüchtete lief, nachdem er – mutmaßlich – auf die beiden Mädchen eingestochen hatte. Am Abend bestätigten Polizei und Staatsanwaltschaft diese Angaben. Schon zuvor waren zum Beispiel auf Twitter Stimmen zu lesen, die davon sprachen, dass Kinder in diesem Land nicht mehr sicher seien, weil es zu viele Straftäter ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland gebe. Die Tat ereignet sich kurz nachdem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts in Aussicht gestellt hatte und damit eine hitzige Debatte angestoßen hatte. Noch am Abend twitterte Faeser, dass sie den Angehörigen ihr Beileid ausspreche.

Aus der AfD kamen Stimmen, die fordern, „sie Sicherheit im öffentlichen Raum zu gewährleisten.“ (Alice Weidel) Damit meint die Co-Parteichefin konkret: „Schicken Sie abgelehnte Asylbewerber, illegale Migranten, kriminelle Zuwanderer und Gefährder konsequent, umgehend und ohne Ausnahme in ihre Herkunftsländer zurück.“ Wie oben beschrieben war der Mann aber offenbar kein abgelehnter Asylbewerber, nicht illegal und bisher nicht kriminell in Erscheinung getreten.

Auch vor Ort wird das Thema offenbar bereits hitzig diskutiert. Wie die Südwestpresse schreibt, gab es offenbar erst Ende November Streit bei einer Ortschaftsversammlung, auf der die weitere Unterbringung von Geflüchteten diskutiert werden sollte. Weil es vor dem Saal Unruhe gegeben habe, musste die Sitzung abgebrochen werden. Nach dem Mord an der 14-Jährigen sagte der Ulmer Bürgermeister Gunter Czisch ähnliche geplante Sitzungen vorerst ab, beziehungsweise verschob die Tagesordnungspunkte.

Messerangriff in Illerkirchberg - Ähnlicher Fall schon vor

In Illerkirchberg herrschen nach Angaben eines SWR-Reporters am Abend der Gewalttat Trauer, Entsetzen und Wut vor. Auch in einer lokalen Facebook-Gruppe wird diskutiert. „Mal wieder Mord und Gewalt. Drei Männer aus Eritrea sind festgenommen worden. Und nicht vergessen: Das Flüchlingsheim (sic!) ist übrigens schon einmal mit widerlichen Verbrechen durch Asylanten gegen minderjährige Mädchen in den Schlagzeilen gewesen...“, schreibt ein FB-User etwa in die lokale „Illerkirchberg - Schwarzes Brett“-Gruppe. In der gleichen Gegend kam es 2019 zu einem schweren Verbrechen an einer jungen Frau.

Daraufhin antwortet ihm einer der offenbar in der Nachbarschaft Lebenden, dass die beiden Unterkünfte nichts miteinander zu tun hätten, die andere Unterkunft sei drei Kilometer entfernt in einer anderen Ortschaft. Er wehrt sich damit dagegen, dass Parallelen zwischen zwei Fällen gezogen werden, in denen es keine direkten Verbindungen gibt.

Gibt es mehr Messerangriffe in Deutschland?

Der Angriff auf zwei Schülerinnen im baden-württembergischen Illerkirchberg könnte auch der Debatte über Messerangriffe in Deutschland neuen Auftrieb geben. Für das Jahr 2021 wurde diese Art der Gewalt erstmals - und bisher das einzige Mal - öffentlich ausgewiesen. Demnach wurde bei 6,6 Prozent der Delikte ein Messer benutzt oder als Drohmittel verwendet. Frühestens für 2023 seien bundesweit valide Daten zu erwarten, heißt es im September.

Dem baden-württembergischen Sicherheitsbericht für 2021 zufolge waren unter den 1562 Tatverdächtigen im Bereich Gewaltkriminalität mit Messern 331 Asylbewerber beziehungsweise Flüchtlinge - ein Rückgang um 19,3 Prozent im Vergleich zum ersten Corona-Jahr 2020. Der Rest waren Deutsche (698 Verdächtige) und andere Nichtdeutsche (533). Tücken der Kriminalstatistiken gibt es mehrere: Zunächst werden ausschließlich Angaben der Polizei über Tatverdächtige erfasst. Ob ein Gericht diese später tatsächlich als Täter oder Täterin verurteilt, ist nicht erkennbar. Eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften fand 2018 heraus, dass ausländische Täter unter anderem auch deshalb vergleichsweise häufiger in der Kriminalstatistik erscheinen, weil sie eher angezeigt werden als etwa Deutsche. (dpa/kat)

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