Erst im zweiten Anlauf! Neue Corona-Studien zeigen: So kam Virus nach Europa und Nordamerika
Zwei US-Forschungsteams fanden nun in Studien heraus, dass die derzeitigen Epidemien in Europa und Nordamerika erst im zweiten Anlauf ausgelöst wurden.
- Nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie* wird weltweit zu diesem Thema geforscht*.
- Studien zweier US-Forschungsteams zeigen nun, dass die derzeitigen Epidemien in Europa und Nordamerika erst im zweiten Anlauf ausgelöst wurden.
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München/Tucson/Seattle - Um herauszufinden, wie sich das Coronavirus in Europa und Nordamerika ausbreiten konnte, untersuchten zwei US-Forschungsteams verschiedene Viruslinien von SARS-CoV-2 und welche Rolle die jeweils ersten Infizierten spielten. Dabei fanden sie heraus, dass die derzeitigen Epidemien erst im zweiten Anlauf ausgelöst wurden. Die beiden Studien, die im Fachmagazin Science veröffentlicht wurden, zeigen, dass die ersten Infektionen in Bayern und im US-Staat Washington noch abgewehrt werden konnten.
Corona: Zunächst Spekulationen um „kryptische Epidemie
Am 19. Januar wurde in Seattle im US-Staat Washington die erste Corona-Infektion bei einer Person in Nordamerika festgestellt, die vier Tage zuvor aus China eingereist war. Die eigentliche Epidemie begann allerdings erst Ende Februar, also sechs Wochen später. Ähnlich verhielt es sich in Europa. In Bayern wurde am 28. Januar die erste Infektion festgestellt, ehe um den 20. Februar herum der Corona-Ausbruch in Norditalien einsetzte.
Zunächst wurde davon ausgegangen, dass die beiden ersten Ausbrüche nicht kontrolliert werden konnten und das Coronavirus eine „kryptische“ Epidemie ausgelöst hat, die von den Gesundheitsbehörden nicht bemerkt wurde, wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet. Bei der bisherigen Hypothese soll sich das Virus von Bayern aus nach Norditalien ausgebreitet haben und von dort aus über Ischgl nach Deutschland zurückgekehrt sein. Ähnlichkeiten in der Virussequenz sprachen für diese Annahme.
Coronavirus: Ergebnisse der Studien sprechen gegen „kryptische" Epidemie
Ein Genomvergleich von 455 SARS-CoV-2-Isolaten, den Trevor Bedford vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle und sein Team durchgeführt haben, schien das zunächst ebenfalls zu bestätigen. Allerdings ergab eine genauere Analyse, dass das Virus wohl erst um den 2. Februar eingetroffen ist. Dieses Datum lasse sich aus der Annahme einer Mutationsgeschwindigkeit und den Unterschieden in den Genomsequenzen der Viren berechnen, die später isoliert wurden, schreibt das Ärzteblatt weiter.
Eine Analyse der „Seattle Flu Study“ spricht ebenfalls gegen eine „kryptische“ Epidemie nach der ersten Infektion. Zwischen dem 1. Januar und dem 15. März waren insgesamt 10.382 Abstriche aus den Atemwegen entnommen worden. Der erste positive Test wurde am 21. Februar gefunden, mehr als einen Monat nach der ersten Corona-Infektion in Nordamerika. Nach diesem Zeitpunkt wurden bis zum 15. März weitere 5.112 Proben entnommen, davon waren 65 positiv auf SARS-CoV-2. Die Dynamik nach dem 21. Februar lässt sich schwer mit einem früheren Eintreffen des Virus vereinbaren, erklärt das Deutsche Ärzteblatt.
Corona-Studie: Worobey und Co. simulieren verschiedene Ausbreitungsszenarien
Michael Worobey von der Universität von Arizona in Tucson und seine Mitarbeiter kommen in ihrer Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Forscher simulierten, ausgehend von den jeweils ersten Fällen in Europa und Nordamerika, verschiedene Ausbreitungsszenarien für das Coronavirus und verglichen die Ergebnisse anschließend mit den vor Ort gewonnenen Virengenomen und epidemiologischen Daten. „So konnten wir die in den Simulationen ermittelten Szenarien mit den Mustern vergleichen, die wir in der Realität gesehen haben“, erklärt Worobey.
Die beiden ersten Fälle fügen sich auch hier nicht in das Bild der späteren Ausbrüche. Frühe Eindämmungsmaßnahmen verhinderten zunächst eine weitere Übertragung des Coronavirus. Die Forscher berichten: „Erst spätere Einführungen des Virus aus China nach Italien und nach Washington begründeten dann die ersten Infektions-Netzwerke in Europa und den USA.“ Die erste Infektion in Bayern verursachte zwar eine kurze Infektionskette, diese konnte jedoch durch schnelle Isolierung und Nachverfolgung gestoppt werden. Die Gensignatur dieser SARS-CoV-2-Variante tauchte in späteren Fällen nicht mehr auf.
Coronavirus-Studie: Ausbruch in Norditalien durch direkte Einschleppung aus China
Die Forscher konnten mit ihrer Analyse ebenfalls die Quelle des ersten großen europäischen Ausbruchs in Norditalien ausmachen. Den Gendaten zufolge sei nicht ein einziges Virus im italienischen Ausbruch mit dem bayerischen Stamm identisch, erklären Worobey und sein Team. Alle in Norditalien ab Anfang Februar isolierten Coronavirus-Proben unterscheiden sich in mindestens einer Mutation vom bayrischen Infektionscluster.
„Unsere Daten und Simulationen stützen das Szenario einer unabhängigen Einschleppung des Virus aus China erst nach Deutschland und dann nach Italien“, erklären die Forscher. Der Ausbruch in Norditalien begann der Studie zufolge mit einer direkten Einschleppung von SARS-CoV-2 aus dem chinesischen Hubei um den 28. Januar herum. Von Italien aus verbreitete sich das Coronavirus über Reisende in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Um den 12. Februar soll diese Virenvariante auch nach New York City eingeschleppt worden sein und dort den schweren Ausbruch ausgelöst haben, berichtet Worobey.
Corona-Ausbreitung an Westküste der USA ebenfalls erst im zweiten Anlauf
Die Verbreitung des Coronavirus an der Westküste der USA wurde ebenfalls von den Forschern untersucht. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass sich die Virusvariante des ersten Covid-19-Falls in Seattle im US-Staat Washington vom 19. Januar nicht vermehren oder halten konnte. Die getesteten Infizierten der folgenden Wochen trugen eine leicht veränderte Variante des Coronavirus in sich. Die Simulationen der Forscher sprechen ebenso gegen die Annahme, dass der erste Fall der Herd der folgenden Epidemie war.
„Wir haben nicht ein einziges Szenario der Epidemie simulieren können, das mit den realen Virenabstammungslinien übereinstimmt“, erklären Worobey und seine Mitarbeiter in ihrer Studie. Sie schließen daraus, dass der erste große Corona-Ausbruch an der Westküste der USA demnach durch eine oder mehrere erneute Einschleppungen des Virus aus China um den 1. Februar 2020 herum verursacht wurde.
Corona: Frühe Maßnahmen haben Beginn der Pandemie zumindest verzögert
Die Ergebnisse der Forscher zeigen, dass die frühen Maßnahmen in Seattle und Bayern den Beginn der Pandemie in Deutschland und den USA zumindest verzögert haben. „Die frühen Maßnahmen führten dazu, dass die ersten Funken noch erfolgreich ausgetreten werden konnten. Auch wenn die Epidemie letztlich doch durchkam, waren dies frühe Siege, die uns zeigen, wie es geht: Umfangreiches Testen und die Fallverfolgung sind machtvolle Waffen“, erklärt Worobey.
Bereits im Frühjahr dieses Jahres gab es erste Studien zur weltweiten Ausbreitung des Coronavirus. Eine Studie der Universitätsklinik Innsbruck veranschaulicht das Ausmaß von Corona-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Eine europaweite Corona-Studie zeigt, welche Kinder am stärksten von Covid-19 betroffen sind. Das Robert-Koch-Institut hat in einer Studie Infektionsumfelder untersucht.
Ärzte in China vermuten, dass Brille vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen könnten*. In einer Studie machten sie erstaunliche Beobachtungen. (ph) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks