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Corona-Krise: 101-Jährige türmt aus Isolation und macht Polizei zu Fluchthelfern

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Von: Marcus Giebel

In der Corona-Krise leiden besonders ältere Menschen, die zu vereinsamen drohen. Eine 101-Jährige hat ihren ganz eigenen Weg aus der Isolation gefunden. Dabei spielte auch die Polizei eine wichtige Rolle.

Braunschweig/München - Irgendwie erinnert die Geschichte ja an das Kultbuch „Der 100-Jährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson, in dem ein rüstiger Senior um den Globus reist und die Weltgeschichte mitgestaltet. Ein paar Unterschiede gibt es natürlich schon: Denn das nun folgende kleine Abenteuer beginnt nicht etwa in Schweden, sondern mitten in Deutschland, die Hauptperson ist nicht 100, sondern bereits 101 Jahre alt und wegen der Corona-Pandemie war eine Weltreise von Anfang an ausgeschlossen.

Aber einen so weiten Trip hatte Ursula Kibat ja ohnehin nicht geplant, wie aus dem Focus-Artikel hervorgeht. Zwar dürfte es ihr ähnlich ergangen sein wie der angesprochenen Literaturfigur Allan Karlsson, den die Langeweile hinaustreibt aus dem Altenheim mit seinem immergleichen Tagesablauf. Doch Kibat hatte bei ihrer „Flucht“ aus einer Seniorenresidenz in Braunschweig ein konkretes Ziel vor Augen: Sie wollte ihre Tochter Marianne Siemann besuchen. Denn die hatte Geburtstag. Und da wollte Kibat natürlich persönlich gratulieren.

Corona-Krise: 101-Jährige will Tochter besuchen und wird von Polizei aufgegriffen

Eines sei vorweg gesagt: Der kleine Ausflug nahm ein gutes Ende - trotz der gerade für hochbetagte Bürger aktuell lauernden Gefahren in der Öffentlichkeit. Dabei lief jedoch zunächst nicht alles glatt für Kibat. So schildert es der Braunschweiger Polizeisprecher Dirk Oppermann: „Die Kollegen wurden zu einem Einsatz in die Innenstadt gerufen, bei dem eine offensichtlich orientierungslose ältere Dame unterwegs war.“ Die Beamten hätten die Seniorin schließlich „angetroffen und mit ihr gesprochen. Dabei stellte sich raus, dass die Dame 101 Jahre alt war.“

Doch wer nun glauben würde, Kibat hätte ihren kühnen Plan aufgegeben und sich zurück in die Seniorenresidenz fahren lassen, muss eines Besseren belehrt werden. Denn die 101-Jährige bestritt dem Polizeisprecher zufolge vehement, aus einer solchen Einrichtung getürmt zu sein: „Das tat sie so eindrucksvoll und nachgiebig, dass die Kollegen das auch glaubten und sie nach Hause brachten.“ Also zu Tochter Marianne.

Corona-Krise: Seniorin darf ihrer Tochter aus Auto heraus gratulieren

Erst die offenbarte den beiden Beamten, dass sie hinters Licht geführt worden waren. Allerdings lebe ihre Mutter erst seit zwei Wochen in der Seniorenresidenz. Für Kibat offenbar eine viel zu lange Zeit. „Sie vermisste ihre Tochter. An dem Tag ganz besonders, weil da hatte die Tochter Geburtstag“, erklärt der Polizeisprecher.

Einem wirklichen Besuch schoben die Chauffeure im Streifenwagen dann aber doch einen Riegel vor: „Natürlich hatte sie die Gelegenheit aus dem Auto heraus ihrer Tochter zu gratulieren. Die so ersehnte Umarmung konnten wir aufgrund des Besuchs- und Kontaktverbotes jedoch nicht zulassen.“

Corona-Krise: Polizei verzichtet trotz Flucht aus Seniorenresidenz auf Anzeige

Als komplette Spielverderber wollten die Regelhüter aber auch nicht dastehen und verzichteten nur zu gern auf eine Anzeige: „Die Kollegen haben geschmunzelt und fanden die Situation nachvollziehbar. Sie haben ihr sehr gern geholfen. Es war ja eigentlich eine schöne Situation.“

So sah es am Ende auch Eva-Johanna Breyer. Die Leiterin der Seniorenresidenz konnte nach einem kurzen Schreck über die kurze Stadtreise ihres Schützlings lachen: „Ich persönlich finde es gut. Es hat sich mal eine 101-Jährige über die Gesetze hinweg gesetzt und das Haus verlassen, um ihren eigenen Wünschen nachzukommen. Das darf man einer 101-Jährigen zugestehen.“

Corona-Krise: Leiterin der Residenz staunt über Kraft der abenteuerlustigen Seniorin

Zugleich gibt Breyer auch zu, dass Kibat sie schon ins Staunen versetzt hat: „Ich habe mich gefragt, woher sie die Kraft hat. Die Dame ist sehr klein und zierlich, und unsere Notausgangstür ist extrem schwierig aufzuschieben. Auch ich brauche einen gewissen Kraftaufwand, und wenn man da noch einen Rollator vor sich herschiebt?“ Tja, wo ein Wille ist, ist eben auch ein Weg.

Sonderlich gestresst habe Kibat nach ihrer Rückkehr auch nicht gewirkt. „Ich finde sie wirkt sehr glücklich, dass ihr Schachzug mit dem Abhauen geklappt hat“, schmunzelt Breyer: „Sie ist stolz drauf. Als sie zurückkam, meinte sie, dass es schön ist, wieder zu Hause zu sein, sie es aber auch sehr schön fand, ihre Tochter zu sehen und ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Sie war an dem Tag ein rundum glücklicher und zufriedener Mensch.“

Und das ist gerade in der aktuellen Zeit ja eine ganze Menge wert.

In unseren News-Tickern halten wir Sie über alle Entwicklungen in Deutschland und auch auf der ganzen Welt auf dem Laufenden. Das Medikament Remdesivir scheint gegen das Coronavirus wirksam zu sein - das ergab ein Experiment mit Affen. Besonders heftig getroffen werden könnte von der Pandemie das Flüchtlingslager Moria.

mg

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